Seehofer-Rundumschlag erschüttert die CSU
München - Horst Seehofer ist erst einmal weit, weit weg. Am Mittwochnachmittag flog er wie geplant nach Moskau ab, wo er am Donnerstag den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen will, wieder einmal. Auf den Landtagsfluren ist der abwesende Partei- und Regierungschef aber das Gesprächsthema Nummer eins. Schließlich hat Seehofer seine eigene CSU-Fraktion kurz vor seiner Russland-Reise gleich doppelt düpiert - und das in einer ziemlich beispiellosen Art und Weise. "Offener Machtkampf" - so oder ähnlich lauten nun die Schlagzeilen.
Zurück bleibt eine - so beschreiben es Abgeordnete - betroffene, enttäuschte, gedemütigte, teils auch wütende CSU-Fraktion. Es sei ein "schwer reparabler Schaden" entstanden, sagt einer. Andere fordern eine öffentliche Klarstellung, am besten eine Entschuldigung.
Etliche Streitpunkte
Dabei reiht sich die aktuelle Machtprobe um die künftige Dauer des Gymnasiums und um eine komplizierte Kommunalwahlrechtsreform ein in eine lange Liste von Streitigkeiten zwischen Seehofer und seiner Fraktion. Die Vehemenz der Vorwürfe aber ist neu: "Blindflug", Politik zum eigenen Nutzen, kein verantwortungsvoller Umgang mit der absoluten Mehrheit.
"Das widerspricht in allen Facetten meiner politischen Auffassung", schimpfte Seehofer am Dienstag vor laufenden Kameras über den Plan seiner Fraktion, das Auszählverfahren bei Kommunalwahlen zu ändern - und zwar so, dass davon vor allem die CSU selbst profitieren würde, zulasten der kleinen Parteien. Keine verantwortungsvolle Politik? Vor allem dieser Vorwurf des eigenen Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten erregt die CSU-Fraktion.
Und dann der Streit ums Gymnasium, der die Gemüter in der CSU schon lange erhitzt. Während in der CSU-Fraktion immer noch einige bremsen, allen voran Fraktionschef Thomas Kreuzer, überrascht Seehofer mit der Einsetzung eines Kabinettsausschusses, der die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren (G9) klarmachen soll - mit einer "Überholspur" für Schüler, die auch weiterhin nach acht Jahren fertig werden wollen.
Das ist auch mehrheitlicher Wille der Eltern, Lehrer, Schüler und Kommunen. Seehofers Vorgehen werten viele in der Fraktion aber als neuen Affront. In Kabinettskreisen wird deshalb am Mittwoch eilig betont, dass es bei der engen Einbindung der Fraktion bleibe: Bis Ostern sollten Staatsregierung und Fraktion gemeinsam entscheiden.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Seehofer seine Fraktion zur Umkehr zwingt: Vor der Landtagswahl 2013 setzte er - nach langem Widerstand seiner Mannschaft - die Abschaffung der Studiengebühren durch und auch den sanften Donauausbau. Fest steht: Die CSU eroberte damals die absolute Mehrheit zurück. Bei anderen Themen ist noch offen, wie es ausgeht: So will Seehofer einen dritten Nationalpark in Bayern, weite Teile der Fraktion sind dagegen.
Auch beim Streit um eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen gab es einen massiven Disput zwischen Seehofer und seiner Fraktion, in der bereits Unterschriften gesammelt wurden, um das Projekt durchzudrücken. Nur mühsam konnte Seehofer hier die Wogen glätten.
Machte sich mit Angriffen auf Söder unbeliebt
Internen Krach löste Seehofer in den vergangenen Monaten auch aus, als er die Personaldebatte über seine Nachfolge immer wieder neu befeuerte. Auch mit Angriffen auf seinen Finanzminister Markus Söder zog der Parteichef wiederholt den Unmut vieler Abgeordneter auf sich.
Nach der aktuellen Eskalation fragen sich nun viele in der CSU: Warum das Ganze? Einen Hinweis gab Seehofer am Dienstag schon selbst. "Wir sind in den letzten Monaten vor der Bundestagswahl", mahnte er mit Blick auf die geplante Reform des Kommunalwahlrechts. "Wer dafür die Verantwortung übernehmen will, soll sie übernehmen. Ich tue es jedenfalls nicht." Mehrere Abgeordnete mutmaßen nun, Seehofer suche schon einmal einen Sündenbock, falls die Wahl in die Hose gehe. Ein anderer sagt, Seehofer sei wegen der Wahlen offenbar hoch nervös.
Tatsächlich geht es für die CSU um viel - bei der Bundestagswahl und erst recht bei der Landtagswahl 2018, bei der die absolute Mehrheit auf dem Spiel steht. Daran richtet Seehofer seine Politik aus. Man dürfe sich keine Fehler leisten, lautet einer seiner Standardsätze. Und: Er propagiert seine "Koalition mit den Bürgern" und will Entscheidungen am Willen der Bevölkerung - wie er ihn wahrnimmt - ausrichten. Ob er sich dabei gegen seine eigene Fraktion stellen muss, erscheint ihm im Zweifel zweitrangig.
Klar ist aber: Sobald er aus Moskau zurück ist, werden sich Seehofer und seine Fraktion zusammenraufen müssen, schließlich ist Wahljahr. Vergessen werde man den denkwürdigen Auftritt nicht, sagt einer. "Das hat sich ins Langzeitgedächtnis der Fraktion eingebrannt."