Sebastian Obermaier: Missionar mit Leib und Seele

Der bekannteste Pater Boliviens ist tot. Sebastian Obermaier, in Rosenheim geboren, landet 1978 im armen El Alto. Er baut dort 72 Kirchen – viele erinnern mit ihren Zwiebeltürmen an die Heimat.
von  Anja Perkuhn, Georg Ismar
Eines der letzten Bilder von Pater Sebastian Obermaier vom Februar dieses Jahres: Er sitzt im Speisesaal seiner Pfarrei – im Hintergrund sind Bauzeichnungen zu sehen von Kirchen, die er in der bolivianischen Stadt El Alto geplant hat und noch bauen wollte. Rechts: Die von Pater Sebastian Obermaier im Stile der bayerischen Kirchen geplante "Cuerpo de Cristo" in El Alto.
Eines der letzten Bilder von Pater Sebastian Obermaier vom Februar dieses Jahres: Er sitzt im Speisesaal seiner Pfarrei – im Hintergrund sind Bauzeichnungen zu sehen von Kirchen, die er in der bolivianischen Stadt El Alto geplant hat und noch bauen wollte. Rechts: Die von Pater Sebastian Obermaier im Stile der bayerischen Kirchen geplante "Cuerpo de Cristo" in El Alto. © Georg Ismar/dpa

Vermisst er denn gar nicht die Heimat? Sebastian Obermaier klopft auf sein Herz. Das Bayerische bleibe da immer. Dann fängt er spontan an zu jodeln. Früher hat er in Boliviens Anden auch dem Bergsteigen gefrönt, die ganzen Sechstausender in der Umgebung bezwungen. "Ich bin ein Bayer. Und der Bayer geht in die Berge", sagt der 1934 in Rosenheim geborene Geistliche.

Das war Anfang des 2016, da war er trotz seiner 81 Jahre noch voller Tatendrang. Um mehr Bürger zu erreichen, war sein neues Projekt ein landesweiter katholischer TV-Kanal. "Das kostet mich natürlich Nerven", sagte Obermaier dazu der AZ. Außerdem kostet es 13.000 Dollar an Satellitenkosten im Monat – vorantreiben wollte er dieses Großprojekt aber unbedingt.

Zwölf Gottesdienste hielten er, ein weiterer Priester und ein Diakon an einem normalen Sonntag. Er war beseelt davon, nicht noch mehr Gläubige an die Sekten zu verlieren, hier oben in 4.100 Meter Höhe, auf der Hochebene des Altiplano.

"Auf Südamerika kam ich so, wie man eine Ehefrau findet"

"Padre Sebastian", wie ihn hier alle nennen, hat ein außergewöhnliches Lebenswerk geschaffen, das immer an ihn erinnern wird. Am Dienstag ist er in seiner Gemeindewohnung in El Alto an einem Herzstillstand gestorben.

Obermaiers Sarg ist in seiner Kirche "Cuerpo de Cristo" aufgebahrt, eingehüllt in eine Deutschlandfahne, darauf ein Bild des immer milde lächelnden Obermaier. Er war der wohl bekannteste Missionar Boliviens. "Pater Sebastian war ein Gigant für die katholische Kirche in Bolivien", sagte der frühere Erzbischof von El Alto, Jesús Juárez.

Im Landeanflug zum in El Alto gelegenen Flughafen der Nachbarstadt La Paz ist sein Werk von oben sehr gut zu sehen: Kirchen mit Zwiebeltürmen und Zwillingstürme, die an die Frauenkirche in München erinnern. Darauf angesprochen lachte er: "Das ist ein Zufall! Ich habe den Leuten hier verschiedene Türme vorgelegt und da haben sie gesagt: 'Das wollen wir', weil das die Anderen nicht hatten."

Trotzdem ist es eine schöne Erinnerung für ihn. Vor 50 Jahren war er – damals Kaplan – von München nach Südamerika in die Mission gegangen. "Ich war glücklich in München, es ist pfundig da", sagte er. "Die Idee mit Südamerika ist mir damals einfach so gekommen. Ich wusste das einfach, so, wie man einen Ehemann oder eine Ehefrau findet."

Er wurde zum Anwalt der Armen

Zunächst ging es 1966 für ihn per zweiwöchiger Schiffsfahrt von Italien aus nach Venezuela, da war er für die deutsche Gemeinschaft zuständig. Aber der Bayer wollte anpacken, helfen. Also nahm er das Angebot an, nach Bolivien zu gehen. "Als ich an meinem ersten Tag dort ankam, vor 38 Jahren", erinnerte er sich im März im Gespräch mit der AZ, "pfiff ich erstmal aus dem letzten Loch. Mein Pfarrhaus lag auf 4000 Metern Höhe, etwas höher als die Zugspitze." Nach ein paar Tagen habe er dann aber schon wieder Fußball spielen können, erzählte er lachend.

In El Alto, einer damals jungen Stadt mit 80.000 Einwohnern, wurde er zum Anwalt der Armen. Die Menschen liebten ihn, er hatte stets ein offenes Ohr, war aber wegen seiner stark konservativen Prägung nicht unumstritten. Überall verbreitete er seine Botschaften: An einer Wand neben seiner Kirche Cuerpo de Cristo steht, dass Trinken eine schwere Sünde sei, ebenso wie Abtreibung und das Fehlen in der Messe. Die Appelle brachte auch der Lautsprecher der Kirche unters Volk. Später zogen immer mehr indigene, mittellose Bürger her – hier oben wohnen mehrheitlich die armen, einkommensschwachen Menschen. El Alto ist heute größer als La Paz, knapp 900 000 Menschen leben dort.

Ein letzter Gruß: Drei Bolivianerinnen trauern am Sarg von Pater Sebastian. Er macht sich in El Alto vor allem zum Anwalt der Armen.

Schon Anfang des Jahres sagte er: "Hier werde ich sterben"

Insgesamt 72 Kirchen plante er, auch für viele andere Gemeinden. "Ich habe in alle Ecken meine Kirchen gebaut, damit jeder Mensch leicht zu einer kommt", sagte er. Allerdings stehen einige heute leer. Im Essensraum seines Hauses stapelten sich Bauzeichnungen. "Früher kostete eine Kirche mittlerer Größe 60 000 Dollar, heute sind es 100 000", erzählte er Anfang des Jahres. Schon damals sagte er: "Ich werde hier sterben." Seine größte Sorge war, ob alles so fortgeführt wird. Der Gemeindeverwalter übernimmt nun.

Obermaier hat auch 34 Schulen gegründet, ein Altenheim für 40 Bewohner, sechs Kitas und ein Kinderhaus für Opfer häuslicher Gewalt. In Deutschland sammelte er mit seinem Bruder, der noch in Rosenheim lebt, Spenden über die "Stiftung Bolivienhilfe". Sorge bereitete ihm das Erstarken der Sekten. Im "Gas-Krieg" von El Alto 2003, als es Proteste gegen die Erdgas-Preispolitik der Regierung gab, starben 60 Menschen. Obermaier brachte die Leichen mit dem Wagen zu den Familien und kümmerte sich um die Bestattungen.

Er war ein Mann der Basis. Ob denn Papst Franziskus bei seinem Bolivien-Besuch im Vorjahr diesen unermüdlichen Einsatz gewürdigt habe? "Wer bin ich denn? Ich bin ein ganz normaler Pfarrer, der seine kleinen Dinge tut", sagte Obermaier wenige Monate vor seinem Tod. Die Menschen in El Alto werden den Pfarrer aus Bayern vermissen – das zeigt die große Anteilnahme.

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