Schräglage für rechte Winkel

Langsam schält sich Diet Sayler aus seinem Geometrie-Korsett und gönnt sich einen Koma-Farbrausch. Davon kann man sich im Erlanger Museumswinkel selbst ein Bild machen.
Jetzt wird der Dissident der Gedankenstrenge aber übermütig: Pinselfahrer kann man an den Rändern des kürzlich entstandenen Acrylbildes „Scaletta“ erkennen, die Mutwilligkeit eines Farbschichtarbeiters, der in diesem Fall Kirchen-Lila und Fliederton als letzten Versuch nimmt, die Dogmatiker der Konkreten Kunst etwas aus der Fassung zu bringen. „Nicht nur junge Künstler sind frech“, sagt der 68jährige Diet Sayler, bis 2005 Professor für Malerei an der Nürnberger Kunstakademie. Im Erlanger Museumswinkel kann man ab Freitagabend sehen, wie sich einer langsam aus seinem Geometrie-Korsett schält und sich einen Koma-Farbrausch gönnt. Naja, fast.
Ins kopfgesteuerte Nirwana geflüchtet
Große Überraschungen erwarten den Sayler-Kenner in dieser Fast-Retrospektive, die unter dem Titel „sich ein Bild machen“ einen konsequenten Konzept-Ansatz über einen Zeitraum von 35 Jahren verfolgt, natürlich nicht. Der Nürnberger aus Rumänien flüchtete aus dem Diktatur-Trauma einer heuchlerischen Staatsheldenkunst anfangs ins kopfgesteuerte Nirwana eines Malewitsch-Paralleluniversums und löste sich langsam aus dem Reizklima schwankender schwarzer Linien und verschobener Winkel. Das „Basiselement“, das er für seine Raster-Fahndung erfand, wurde sein bestimmendes Spielmaterial – eine Figur, bei der sich Puzzle-Teile wegnehmen, ausschneiden und variable Formen finden ließen.
Er schuf mit diesem Grundelement rechteckige Rhythmen, erlaubte mit dem Würfel und dem Werfen dann den Zufall („Ein bestimmter Schritt in meiner Arbeit gehorcht dem Zufall“) und löste ab den 90ern richtige Farbgewitter aus. Ganz egal, ob er körperhafte Bilder aus der Wand ragen ließ oder „Norigramme“ als Hingucker an alten Nürnberger Gemäuern platzierte – immer rang da Kalkül, ja Kalkühle mit der Lust, ein rechtwinkliges Weltbild in Schräglage zu bringen, die Dinge aus dem Rahmen kippen zu lassen.
Gefühle nicht zu vermeiden
„prinzip ist form, farbe ist freiheit“ formulierte er schon 1996 als Glaubensbekenntnis. Gefühle sind bei dieser gegensätzlicher Kunst-Formel aus eingefrorener Bewegung und leuchtenden Farbkontrasten nicht zu vermeiden, räumt der Künstler ein: „Es gibt keine Gefühle ohne Gedanken.“ Und so beugt Sayler seine Basislehre unermüdlich durch, reduziert neuerdings das Monumentalbilder auf handliche Panorama-Größe. Die Großformate, meint er, bringe man doch leicht mit imperialistischer Haltung in Verbindung, „und ich merkte, dass es mit den Kleineren auch ganz gut ging.“
Die Frechheit steckt bei Sayler eben im Detail.
Andreas Radlmaier
Städtische Galerie Erlangen (Luitpoldstr. 47): Diet Sayler – „sich ein bild machen“. Eröffnung: Freitag, 19 Uhr, bis 16. März, Di-Fr 11-19 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Führung: So, 18 Uhr. Im Graef-Verlag ist ein Begleitbuch erschienen.