Schocks und Triumphe: Die Kommunalwahl in Bayern

Selten hat eine Wahl die politische Landschaft so durcheinandergewirbelt wie die Kommunalwahl in Bayern am Wochenende. Die AZ zeigt drei der interessantesten Fälle.
von  Abendzeitung
Duell in Freising: Christian Magerl (Grüne, r.) und Michael Schweiger (Freie Wähler)
Duell in Freising: Christian Magerl (Grüne, r.) und Michael Schweiger (Freie Wähler) © Siegfried Sperl

Selten hat eine Wahl die politische Landschaft so durcheinandergewirbelt wie die Kommunalwahl in Bayern am Wochenende. Die AZ zeigt drei der interessantesten Fälle.

Sozialdemokraten fuhren rauschhafte Siege ein, freie Wählervereinigungen und sogar Grüne stürmten CSU-Bastionen, aber auch mancher SPD-Bürgermeister, der sich sicher fühlte, erlebte ein böses Erwachen. Drei der interessantesten Fälle in einem AZ-Überblick:

Freising: Grüne und Freie Wähler kicken die CSU raus

Ein bisschen abgespannt schauen sie noch aus, am Morgen danach. Christian Magerls Augenlider flattern beim Marsch über den Freisinger Marienplatz. Michael Schwaiger, der entgegenkommt vor der Mariensäule, hat Augenringe unter seiner randlosen Brille. Dann treffen sie aufeinander, der bärtige Grüne (52) und der knapp zwei Meter große Freie Wähler (36), die Landrat werden wollen im Landkreis Freising. Beide zwinkern frech. Grinsen breit. Und dann – fallen sie einander in die Arme.

Magerl, der Naturschützer und grüne Landtagsabgeordnete, und Schwaiger, FW-Bürgermeister in Marzling – persönlich sind sie Freunde. Doch seit klar ist, dass die beiden Kandidaten mit ihrem Nein zu Transrapid und dritter Flughafen-Startbahn den CSU-Bewerber Josef Riemensberger aus dem Rennen gekickt haben und in zwei Wochen in die Stichwahl müssen, sind Magerl (26,7Prozent) und Schwaiger (27,6 Prozent) Gegner: Der tiefschwarze Landkreis Freising hat nur noch die Wahl zwischen Grün und Parteifrei. Siegt Magerl, wäre er der erste grüne Landrat Bayerns und in Deutschland – eine politische Sensation.

„Servus Michi!“, „Hey, Christian, Gratulation!“, tönt es von allen Seiten am Platz rund um Kirche, Rathaus und Mariensäule. Ein Radler steigt vor dem Café Tagblatt in die Bremse: „Mei, so eine schöne Umarmung“, ruft er rüber, „aber in 14 Tagen geht’s um die Wurscht, gell?“

Sie winken fröhlich, die Freisinger Bürger, und die zwei Kandidaten kommen mit dem Händeschütteln kaum nach. Nur Dieter Thalhammer, der wiedergewählte rote OB der Stadt, der vorbeimarschiert, wirkt übellaunig. Sein Votum für den Transrapid hat ihn Wählerstimmen gekostet. Die Freisinger wollen den Superzug vor ihrer Haustür nun mal nicht haben und watschten nicht nur die CSU, sondern auch die örtliche SPD ab.

Doch was nun? Ist Freising reif für den ersten grünen Landrat der Republik? Vom grünen Magerl unterscheidet sich Schwaiger nur, weil er die West-Tangenten um Freising befürwortet. „Wir werden grün!“, glaubt Friseurmeisterin Heidi Streitberger (48), bislang brave CSU-Wählerin im Ort. „Grün wär okay, aber ich hätt auch nix gegen parteifrei“, sagt Gemüsehändler Dieter Lösch (65). Die Chefin im Backhaus Schweller kann sich kaum vorstellen, dass die Landgemeinden um Freising plötzlich so ganz aufhören, konservativ zu sein: „Die wählen Schwaiger, ganz sicher.“ Es wird wohl eine Gefühls-Wahl werden in Freising. Spannend allemal.
Irene Kleber

Fürth: Historischer Sieg für radelnden SPDler

Thomas Jung kann schon mal üben, freihändig zu fahren, bevor er – wie üblich – ins Fürther Rathaus radelt. War der SPD-OB bisher schon unglaublich beliebt, dürfte er nach diesem historischen Wahlsieg aus dem Grüßen nach links und rechts gar nicht mehr herauskommen: Über 80 Prozent haben dem OB ihre Stimme gegeben.

Ein „Ude-Ergebnis“ von 60 Prozent plus X hatte sich Jung gewünscht. Dass der 46-Jährige den Gegner derart abstrafte, hat viele Gründe. Ganz sicher haben die Feierlichkeiten zum 1000. Stadtjubiläum im letzten Jahr den Amtsinhaber ein ums andere Mal in den Vordergrund geschoben. „Na ja, da hat alles gut geklappt“, sagt Jung, „es hätte auch das Bier ausgehen können.“

Es hat ziemlich viel geklappt in Jungs erster Amtszeit: Fürth hat ein nagelneues Thermalbad bekommen und eine schicke Uferpromenade an der Pegnitz. Ein riesiges Solar- Kraftwerk auf einem ehemaligen Müllberg hievt Fürth in die erste Liga der Sonnenstrom- Pioniere.

Die jüngste Großstadt Bayerns – jeder fünfte der 114000 Fürther ist unter 18 – verzeichnet beachtliche Wanderungs-Gewinne. Vor allem durch junge Familien – die Stadt erlebt einen Baby-Boom. Das bedeutet Mehr-Arbeit. „Wir müssen zwölf Schulen sanieren“, nennt Jung eine der Aufgaben. Außerdem muss die Innenstadt-Entwicklung weitergehen, wenn die Stadt ihr Schmuddel-Image abstreifen soll. Seinen Politik-Stil will Jung dabei nicht ändern. Der OB setzt trotz absoluter SPD-Mehrheit auf Konsens.
Winfried Vennemann

Wolfratshausen: Weißbierstimmung

Fast überall in Bayern lecken die Christsozialen am Tag nach der Kommunalwahl ihre Wunden. Nur in Wolfratshausen herrscht Weißbierstimmung. „Prost“, rufen die Schwarzen im Rathaus- Sitzungssaal dem Wahlleiter zu und heben ihre Gläser, die Luft ist alkoholgeschwängert.

Bis spät in die Nacht haben sie im Löwenbräu gefeiert, und heute geht’s weiter: Nach zehn Jahren Regentschaft ist SPD-Bürgermeister Reiner Berchtold in Stoibers Heimat abgewählt. Zuletzt sei er halt ein schwacher Bürgermeister gewesen, heißt es im Ort. In zwei Wochen tritt CSU-Kandidat Richard Kugler nun in der Stichwahl gegen Helmut Forster von der Bürgervereinigung Wolfratshausen (BVW) an.

„Wir sind sehr froh über das Ergebnis“, jubiliert Dominic Stoiber, Sohn des Ex-Ministerpräsidenten und örtlicher JU-Vorsitzender. Kugler selbst aber mag sich noch nicht so recht freuen: „Entschieden ist nix.“ Der Spenglermeister hat heute zwar kurz im Rathaus vorbeigeschaut, aber sich gleich in seine leicht staubige Arbeitsweste geworfen, er muss jetzt weiter, „ins Geschäft“, dort wartet Mama Margarethe: „Freilich bin ich stolz. Ich bin doch die Mutter.“ Sogar der Herr Doktor Stoiber habe angerufen und gratuliert.

Sehr viel mehr Grund zur Freude hatte Stoiber gestern ja auch nicht. Wie sich Kugler das schlechte Abschneiden der CSU im Rest Bayerns erklärt? Kugler zuckt mit den Schultern: „Rauchverbot, Transrapid, die neue Parteispitze. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem.“ Dann schickt er schnell hinterher: „Aber bei Kommunalwahlen geht’s ja immer mehr um die Personen.“ „Der Stoiber, der war halt schon eine ganz andere Persönlichkeit“, sinniert auch BVW-Kandidat Helmut Forster. Er steht vor dem Rathaus auf der Straße und hält Hof. „Herzlichen Glückwunsch“, rufen die Passanten, klopfen ihm auf die Schulter.

Gegenüber, im Eiscafé Cristallo, wartet schon Forsters Fanclub. Maurizio Faganello bemüht Eisbecher-Metaphorik: „Wenn wir jetzt noch den Bürgermeister stellen, das wäre die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.“
Annette Zoch

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