Schmuddel-Eck Schweinau?

Reaktionen auf die Schock-Umfrage, die der Situation der Kinder- und Jugendlichen in den Südwest-Stadtteilen schlechte Noten gibt.
von  Abendzeitung

Reaktionen auf die Schock-Umfrage, die der Situation der Kinder- und Jugendlichen in den Südwest-Stadtteilen schlechte Noten gibt.

NÜRNBERG Kinder, die in den Stadtteilen Schweinau und St.Leonhard aufwachsen, starten mit schlechteren Chancen ins Leben als ihre Altersgenossen im Rest der Stadt. Eine Studie der Uni Erlangen-Nürnberg hat festgestellt, dass Gesundheit und Wohlbefinden der Schüler in den Problem-Stadtteilen unbefriedigend ist. Die Kinder sind zu dick (30 Prozent) und ernähren sich ungesund (90 Prozent). Über 50 Prozent der befragten 665 Grund- und Hauptschüler kommen häufig ohne Frühstück in die Schule. Jeder fünfte Hauptschüler gab an, täglich Alkohol zu trinken, jeder achte raucht. Begonnen haben sie im Alter von 11 bis 13 Jahren. Sind St. Leonhard und Schweinau Problem-Stadtteile? Die Anwohner wehren sich gegen so ein Urteil: Wir wohnen nicht im Schmuddeleck! Die AZ hat sich umgehört und einen Experten befragt.

Wenn das Wort „Brennpunktschulen“ für Nürnbergs städtischen Schulamts-Chef Manfred Schreiner (64) einen Sinn hat, dann in St. Leonhard und Schweinau. „Im Viertel zwischen Frankenschnellweg, Mülloper und Bahnlinie, Gebrauchtwagenhändlern und Bordellen, schleppen schon am Vormittag Erwachsene Bierkästen aus dem Supermarkt nach Hause“, schreibt er in einem Beitrag für das Magazin des Lehrerverbandes BLLV. Dort ist er als Referent für Integrationspolitik aktiv. Seine Erkenntnis: „Wer es sich leisten kann, zieht weg, spätestens wenn die Kinder in die Schule sollen.“

Bewegungsstörungen, Übergewicht : „Die Armut ist dick!“

Grund dafür seien die Lebensbedingungen in den beiden Stadtteilen. Hier haben 70 Prozent der Menschen ihre Wurzeln im Ausland. Die Familien haben das geringste Einkommen in der Stadt. „Seit dem Jahr 2000 sind 500 Deutsche weg- und 1300 Ausländer zugezogen. Knapp die Hälfte ist arbeitslos. Nur 15 Prozent der Hauptschulabgänger finden einen Ausbildungsplatz“, beschreibt Schreiner die Fakten.

Und auch das gehöre, so Schreiner, dazu: „Die Armut ist dick!“ Bei den Untersuchungen zum Schuleintritt werden Bewegungsstörungen, Übergewicht und falsche Ernährung festgestellt. Viele Kinder aus dem Viertel können nicht Fahrrad fahren. Ihr Gleichgewichtssinn ist unterentwickelt, was zu Problemen beim Schreibenlernen führt. „So mancher Viertklässler“, schreibt Schreiner, „betritt beim Klassenausflug zum ersten mal in seinem Leben einen Wald!“ Lehrer berichten, dass es in vielen Familien keine Lernanregungen gibt. Mitteilungen von der Schule werden nicht gelesen. Viele Kinder kommen ohne jegliches Schulmaterial in die Klasse.

Was tun? Wie gegensteuern? Die Pädagogen im Stadtteil wissen, was helfen würde – Ganztagesschulen mit viel Platz statt engen Klassenzimmern. Mit einem festen Mittagessen und mit Sozialpädagogen, die in die Familien hineingehen!

Doch die Realität, so Schreiner, sieht anders aus: „Wegen Schulraummangels wird auf dem Gang unterrichtet!“ Zudem sind die Sparbeschlüsse Schuld, dass Schulen seltener gereinigt werden und die Toiletten verdrecken. Schüler fühlten sich hier nicht wohl!

Ein Happy End gebe es, so Schreiner, nicht. Die Nürnberger Stadträte reagierten viel zu zögerlich. Zwar wurde jüngst erst die Errichtung einer Ganztagesschule beschlossen – jedoch lediglich als Pilotprojekt.

Michael Reiner

Was die Bewohner der betroffenen Stadtteile denken, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Freitag, 6. Februar.

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