Schlimm! Bald leben 70.000 Nürnberger von der Stütze
![[BU]Dieter Maly, Leiter des Nürnberger Sozialamtes. [BU]Dieter Maly, Leiter des Nürnberger Sozialamtes.](/storage/image/1/3/0/0/200031_artikelbild_1ACZQZ_YoB4m3.jpg)
Sozialamts-Chef Dieter Maly fürchtet, dass die Quelle-Pleite noch heuer auf die Zahlen bei Hartz IV durchschlägt. Struktur-Wandel führt auf lange Sicht zu wachsender Altersarmut
NÜRNBERG Nein, Dieter Maly muss keine Angst haben, dass ihm die Kundschaft ausgeht – im Gegenteil: In den nächsten Monaten und Jahren rechnet der Leiter des Nürnberger „Amtes für Existenzsicherung und soziale Integration“ mit steigender Armut in seiner Stadt. Maly erwartet, dass Ende des Jahres rund 70.000 Nürnberger von staatlichen Transferleistungen leben werden – die so genannte „Armuts-Population“ wird dann ein Siebtel der Bevölkerung ausmachen!
Zurzeit leben in Nürnberg rund 48.000 Langzeit-Arbeitslose
Da sind natürlich die Langzeit-Arbeitslosen, die kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Weil sie zu alt sind, zu krank und ohne Berufsausbildung. Zurzeit sind das in Nürnberg rund 48.000. Doch bald, wenn die Opfer der Quelle-Pleite kein Arbeitslosengeld I mehr bekommen, werden es 55.000 sein, befürchtet Maly: „Für diese Leute brauchen wir dringend einen 2.Arbeitsmarkt, eine sinnvolle Beschäftigung.“
6000 Menschen bekommen Grundsicherung
Die zweite große Gruppe bekommt die so genannte Grundsicherung vom Sozialamt, weil sie entweder nicht erwerbsfähig sind oder eine zu kleine Rente haben. Das sind in Nürnberg zurzeit rund 6000 Menschen. „Aber ihre Zahl steigt jedes Jahr um vier bis fünf Prozent“, sagt Maly. Er sieht immer mehr Menschen, die es in ihrem Berufsleben nicht schaffen, für eine ausreichende Rente zu sorgen. „Das ist das Ergebnis von 25 Jahren struktureller Arbeitslosigkeit“, so Maly, „da kommt eine regelrechte Düne auf uns zu.“ Zuerst der industrielle Strukturwandel, dann die Verschärfung durch zehn bis 15 Jahre Globalisierung – und schließlich die Weltwirtschafts-Krise des Jahres 2009. Die Altersarmut wird zu einem immer größeren Problem werden.
20.000 Kinder von Armut betroffen
Die dritte große Gruppe, das sind die Kinder und Jugendlichen. Schätzungen gehen davon aus, dass 20.000 Kinder in Nürnberg von Armut betroffen sind. Wie kann man ihnen besser helfen? Auch über höhere Regelsätze bei Hartz IV, findet der ältere Bruder von OB Ulrich Maly: „Ich erwarte schon, dass der Staat bei den Regelsätzen was drauflegt. Vermutlich wird das mit Sachleistungen kombiniert.“
Um dem Missbrauch durch die Eltern vorzubeugen? „Natürlich haben wir auch Beispiele, dass die Eltern das Geld ihrer Kinder in Alkohol umsetzen“, sagt Maly, „aber die überwiegende Anteil der Eltern leiden eher darunter, dass sie ihren Kindern nicht mehr bieten können.“ Eine Untersuchung im Zusammenhang mit dem Nürnberg-Pass habe ergeben, dass die große Mehrheit der Eltern mit mehr Geld auch den Nachwuchs besser versorgen würde. Außerdem: „Misstrauen alleine hilft den Kindern ja auch nicht!“ Gefragt seien „intensive sozialpädagogische Betreuung: „Wenn das Geld versickert, ist das ein Fall für die allgemeinen Sozialdienste.“
Kita müsse Defizite des Elternhauses ausgleichen
Nicht umsonst trägt Malys Amt den Zusatz der „sozialen Integration“: „Das hat ganz entscheidend mit Bildung zu tun. Und das muss ganz früh, schon in der Kinderkrippe, beginnen.“ Die Kita müsse tatsächlich den Bildungs-Auftrag annehmen und die Defizite des Elternhauses ausgleichen. Vor allem Migranten-Kinder stünden „schon am Start in der zweiten Reihe“. So werde Armut über Generationen weitergereicht.
Stichwort Hauptschüler. Maly: „Wir haben Jahre gehabt, da hatten 75 Prozent der Schulabgänger keine Lehrstelle. Wir können es uns aber nicht leisten, ganze Generationen von Schul-Abgängern zu verlieren. Ein paar, fürchte ich, haben wir schon verpasst.“ Bis in die Stadtteile hinein müsse man etwas tun, um den jungen Leuten eine Berufs-Perspektive zu schaffen: „Und wenn es bei Bäcker um die Ecke ist.“ W. Vennemann