Schleimige Fäden in Allgäuer Höhle begeistern Wissenschaftler

Eine dicke Schleimschicht und glibberige Fäden: Was sich eklig anhört und sogar Wissenschaftler an Szenen aus einem Alienfilm erinnert, ist eine sehr seltene Naturerscheinung.
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Einzigartige Naturerscheinung: Franz Hösle, Betreuer der unterirdischen Jodquelle Sulzbrunn ist faziniert von den an der Decke der Höhle hängenden schleimigen Fäden.
dpa Einzigartige Naturerscheinung: Franz Hösle, Betreuer der unterirdischen Jodquelle Sulzbrunn ist faziniert von den an der Decke der Höhle hängenden schleimigen Fäden.

Eine dicke Schleimschicht und glibberige Fäden: Was sich eklig anhört und sogar Wissenschaftler an Szenen aus einem Alienfilm erinnert, ist eine sehr seltene Naturerscheinung. Sie wurde in einem alten Stollen im Allgäu entdeckt - und wird jetzt von Experten erforscht.

Sulzberg – Der Eingang zum alten Heilwasser-Stollen liegt hinter einem Gebäude. Vielen Wanderern, die die Gegend am einstigen Jodbad Sulzbrunn in der Oberallgäuer Gemeinde Sulzberg erkunden, wird er kaum auffallen. Doch nur wenige Meter unter der Erde befindet sich eine Naturerscheinung, die Wissenschaftler als einzigartig bezeichnen. "Von einer Weltsensation zu sprechen, ist sicher nicht zu hoch gegriffen. Wir haben hier eine Lebensweise entdeckt, die so auf der Erde noch nicht beschrieben wurde", sagt Roland Eichhorn, Chef-Geologe am Landesamt für Umwelt (LfU). Die Rede ist von "lebenden Tropfsteinen", die sich unter äußerst ungewöhnlichen Bedingungen in dem Stollen gebildet haben.

Franz Hösle geht voraus. Mit einer Taschenlampe steigt der Betreuer der Quelle über eine Eisenleiter senkrecht in die Tiefe. Nach acht Metern steht er mit seinen Gummistiefeln im Wasser. "Das ist unser Heilwasser", sagt er ehrfürchtig und geht geduckt weiter. Denn auf den nächsten Metern wird es eng im Stollen. Es ist kühl und still - irgendwo im Dunkeln hört man Wasser ins Quellbecken tropfen. Als Hösle seine Taschenlampe nach oben hält, wird das Naturphänomen sichtbar: Dicker Schleim überzieht zentimeterdick die Wände des unterirdischen Stollen, und von der Decke hängen glibberige milchig-weiße Fäden. Die längsten sind fast 20 Zentimeter lang und sehen aus wie Stalaktiten.

"Als ich das hier zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, ich bin in einem Alienfilm", sagt Eichhorn, der ebenfalls in geduckter Haltung durch den Stollen geht. Zwei Jahre ist es her, dass Geologen des LfU die Glibber-Fäden und den schleimigen Belag entdeckt haben. Eigentlich wollten sie die unterirdische Jod-Quelle untersuchen, um etwas über die Grundwasserverhältnisse in Bayern zu erfahren. Als sie auf den Schleim stießen, vermuteten sie gleich, "dass diese Lebensform etwas ganz Spezielles ist", wie der Chef-Geologe sagt.

Eine Erstuntersuchung durch das LfU habe ergeben, dass es sich um einen Biofilm handelt, der von Bakterien gebildet wird. Diese Bakterien, die ohne Licht leben können, sind offenbar durch die sehr speziellen Lebensbedingungen in dem Heilwasser-Stollen gewachsen. Als Nährstoffquelle dient ihnen das mit dem jodreichen Quellwasser aufsteigende Methan. "Es ist völlig verrückt - diese Bakterien ernähren sich von Methan und Jod", sagt Eichhorn. Die Lebensform Biofilm sei Milliarden Jahre alt.

Forscher des Helmholtz-Zentrums München haben die weitergehende Untersuchung der Bakterien übernommen. "Mikrobiologisch ist es ein sehr spannendes System, das man dort entdeckt hat. Wir sind sehr aufgeregt, dass wir dort arbeiten können", sagt Tillmann Lüders, der die Forschungen am Institut für Grundwasserökologie leitet.

Ersten Ergebnissen der Forscher zufolge sind die Glibber-Fäden, die in der Fachsprache "snottites" heißen, weltweit eine ausgesprochene Seltenheit. Bisher sei kein einziges Beispiel bekannt, wo derart massive Biofilme aus methan-oxidierenden Bakterien gefunden wurden, sagt Lüders. Entsprechend große Aufmerksamkeit hätten die Forscher geweckt, als sie kürzlich erste Ergebnisse auf internationalen Tagungen vorstellten.

Bevor sich jedoch Mikrobiologen aus aller Welt anmelden, um den hängenden Schleim in der Allgäuer Höhle zu erkunden, wollen Lüders und sein Team das Naturphänomen erst einmal selbst verstehen. Bis alle Fragen beantwortet sind, könne es noch dauern. "Das System gibt auf jeden Fall spannende Fragen auf Jahre hinaus", sagt Lüders.

Spannend könnte die Entdeckung nach Auffassung des Chef-Geologen des LfU auch für einen ganz anderen Bereich sein: Die Glibber-Fäden könnten möglicherweise Informationen über die Entstehung von Leben auf der Erde geben - sozusagen als "Fenster zum Ursprung des Lebens", sagt Eichhorn. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich eines Tages auch die Nasa für das einzigartige Naturphänomen in Sulzbrunn interessiert: "Möglicherweise ist diese seltene Lebensform etwas, was wir auf anderen Planeten erwarten können."

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