Schlamperei mit Toten: So bleiben viele Morde unentdeckt

Hausärzte sind bei der Feststellung der Todesursache oft überfordert - gerade bei Vergiftungen oder Erstickungen
von  Abendzeitung
Tatort Krematorium: Das Mordopfer Erich W. (43) wurde unter falschem Namen eingeäschert.
Tatort Krematorium: Das Mordopfer Erich W. (43) wurde unter falschem Namen eingeäschert. © dpa

Hausärzte sind bei der Feststellung der Todesursache oft überfordert - gerade bei Vergiftungen oder Erstickungen

NÜRNBERG Erschreckend! Einer wissenschaftlichen Studie der Universität Münster zufolge bleiben jedes Jahr allein in Nürnberg fünf bis zehn Morde unentdeckt. Deutschlandweit sind es 1000 bis 2000. Etliche Anhaltspunkte, woran das liegt, liefert der zurzeit laufende Mordprozess gegen zwei Bestatter aus dem Raum Erlangen.

Die beiden unter Mordanklage stehenden Männer (beide 54 Jahre alt) nutzten nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft eine Gesetzeslücke, um ihr Opfer spurlos zu beseitigen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wird in Bayern bei Einäscherungen nicht kontrolliert, ob sich die für die Verbrennung vorgesehene Leiche dann auch tatsächlich im Sarg befindet.

Für die beiden im Bestattungswesen tätigen Männer war es laut Anklage deshalb kein Problem, die Leiche eines an Altersgebrechen gestorbenen Menschen gegen das Mordopfer auszutauschen und zu verbrennen. Der teuflische Plan ging nur deshalb nicht auf, weil einer der mutmaßlichen Täter Gewissensbisse bekam und die Tat gestand.

Schwachpunkt Totenschein

Um derartige Praktiken zu unterbinden, dürfen in Nürnberg Leichen nur dann im Krematorium verbrannt werden, wenn in jedem Einzelfall eine Unbedenklichkeits-Bescheinigung ausgestellt wurde. Das macht ein Sachbearbeiter bei der Mordkommission. Auf seinem Schreibtisch landen jedes Jahr mehr als 3000 solcher Fälle. Zentrale Grundlage für die Freigabe zur Einäscherung ist der Totenschein, den ein Arzt ausstellt. Genau das aber ist der Schwachpunkt.

Professor Wolfgang Eisenmenger, langjähriger Chef des Rechtsmedizinischen Instituts in München, schiebt den Schwarzen Peter den Ärzten zu: „Manche von ihnen untersuchen den Verstorbenen nicht genau, stellen einen Totenschein aus und konstatieren eine natürliche Todesursache, ohne es in Wirklichkeit genau zu wissen.“

Merkwürdigkeiten kommen immer wieder vor

Oberstaatsanwalt Wolfgang Träg von den Nürnberger Justizbehörden hat schon oft derartige Erfahrungen gemacht. Etwa dann, wenn in Nürnberg Verstorbene in einem Bundesland eingeäschert werden sollen, wo eine nochmalige Leichenschau unmittelbar vor der Verbrennung stattfinden muss. Träg: „Es kommt immer wieder vor, dass in solchen Fällen Merkwürdigkeiten festgestellt werden, die auf Gewalteinwirkung hinweisen, obwohl beim ersten Mal eine natürliche Todesursache dokumentiert wurde.“ Er plädiert für den Einsatz von professionellen Leichenbeschauern wie es sie zum Beispiel in England gibt: „Hausärzte, die normalerweise einen Totenschein ausstellen, sind manchmal einfach überfordert, die genaue Todesursache zu erkennen. Speziell bei Vergiftungen und Erstickungen ist das sehr schwierig.“

Manchmal sind es aber auch allzu menschliche Gründe, die den Arzt davon abhalten, im Totenschein eine unklare Todesursache anzugeben, auch wenn er sich nicht ganz sicher ist. Träg: „In dem Moment, in dem er das tut, weiß er, dass die Polizei eingeschaltet wird und Ermittlungen aufnimmt. Das ist unangenehm, und das will der Arzt der Familie des Verstorbenen vielleicht nicht zumuten.“

Manchmal allerdings kennt die Fahrlässigkeit eines Arztes auch keine Grenzen. Träg: „Ein Arzt hatte bei einem Toten eine natürliche Todesursache angekreuzt. Es war aber ein Mord. Als der Leichenbestatter den Toten aufhob, fiel ein im Rücken steckendes Messer, die Tatwaffe, zu Boden.“ Helmut Reister

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