Sado-Maso-Sex in der Ersatzfamilie?

Neue Vorwürfe gegen das Nürnberger Kinderheim Martin-Luther-Haus, aber auch Fürsprecher melden sich zu Wort
von  Abendzeitung
Im Kreuzfeuer der Kritik: Ex-Heimleiter Hanns-Jürgen S. (75).
Im Kreuzfeuer der Kritik: Ex-Heimleiter Hanns-Jürgen S. (75). © AZ Archiv

Neue Vorwürfe gegen das Nürnberger Kinderheim Martin-Luther-Haus, aber auch Fürsprecher melden sich zu Wort

NÜRNBERG Kinderquäl-Anstalt oder Ersatzfamilie? Gelegentliche „Grenzüberschreitungen“ oder systematischer Missbrauch? Der AZ-Bericht über üble Vorfälle im evangelischen Nürnberger Kinderheim Martin-Luther-Haus – eine Ex-Bewohnerin (41) berichtete über körperliche und seelische Misshandlungen und auch sexuellen Missbrauch – hat viel Staub aufgewirbelt. Zwei Betroffene meldeten sich in der Redaktion: Während Martina A. (52)* aus Nürnberg ihren Heim-Aufenthalt positiv bewertet und den ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Leiter Hanns-Jürgen S. (75) verteidigt, berichtet Andreas B.* (51) über Vorfälle im Martin-Luther-Haus, die so abstoßend sind, dass wir auf detaillierte Ausführungen verzichten.

Andreas B.: „Ich war acht Jahre alt, als ich ins Martin-Luther-Haus kam. Ich kann die Vorwürfe nur unterstreichen. Heimleiter S. ließ bei geringsten Verfehlungen die Fäuste fliegen. Die Kinder flogen nur so durch die Räume. Auch kann S.’s anstößiges Verhalten gegenüber den Kindern, vor allem den Mädchen, nicht als Grenzüberschreitung abgetan werden. Während einer Ferien-Fahrt nach Klagenfurt. mussten sich alle Kinder nackt ausziehen und unter die Dusche stellen. Er stellte sich dazu und seifte alle Kinder ab. Auch im Genitalbereich. Auch pubertierende Mädchen. Das Schlimmste, das mir widerfuhr, kam nicht von S., sondern von einem anderenErzieher. Er zwang mich als Achtjährigen auf dem Klo zu widerlichen SM-Praktiken. Noch heute habe ich sein Gestöhne im Ohr und den Geruch seiner Genitalien in der Nase.“

Martina A.: „Für mich ist Hanns-Jürgen S. bis heute eine Vaterfigur. Ich komme aus einem kaputten Elterhaus, habe ihm und dem Heim alles zu verdanken: meinen Realschulabschluss, meine Liebe zu Menschen und Tieren, Verantwortungsbewusstsein. Natürlich gab’s Ohrfeigen, das waren in den Siebzigern normale Erziehungsmethoden. Sexuelle Gewalt habe ich nie erfahren. Alle Berührungen waren Ausdruck von Nähe und Vertrautheit, die ich und viele andere Kinder zuhause nie erfahren haben.“

Steffen Windschall

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