Riesen-Jesus: Kommt er zu uns nach Franken?
In Wassertrüdingen wurde der Bau einer 68 Meter hohen Statue mit Pilgerhotel beschlossen. Doch nun regt sich Widerstand.
WASSERTRÜDINGEN „Warum des a Pilgerhotel werden soll, weiß ich net. Des war doch immer nur a Hubbl“, sagt der Gast in „Sissys Café“. Er möchte anonym bleiben. So wie fast jeder in Wassertrüdingen, den man zu seiner Meinung über die geplante Christus-Statue und das dazugehörige Pilgerhotel fragt. Nur eine sagt: „Das wollen wir nicht. Und ich kenne niemanden, der die Figur gut findet.“ Auch die ansonsten redseligen Stammtischbrüder im „Ochsen“, sagen: „Mir schweigen!“ Ein paar starren wütend in ihr Bier, ein paar wenden sich ab von den Reportern. Dann ruft einer: „Was trinken könnt ihr schon, bloß keine Fragen stellen.“ Denn Geld verdienen, das würde man im eigentlich seit Jahren geschlossenen „Ochsen“ schon gerne.
Die Gemeinde hat kein Geld und keine Sehenswürdigkeiten
Geld: Es ist das Problem in Wassertrüdingen. Die Gemeinde ist nicht etwa pleite. Aber es geht um die Möglichkeit, Geld zu verdienen und damit die Zukunft der Gemeinde zu sichern. Wassertrüdingen liegt am Hesselberg, hat 6000 Einwohner. Man spricht mit leicht schwäbischem Einschlag. Es gibt zwei große Arbeitgeber, Schwarzkopf und XXXLutz. Ansonsten sieht es eher düster aus: Der Bahnhof ist geschlossen, einen Autobahnanschluss gibt es nicht, ebenso wenig wie Sehenswürdigkeiten. Dafür hat Wassertrüdingen zwei leer stehende Hotels und einen menschenleeren Marktplatz. Die Kleinstadt liegt am Rande des Nirgendwo, zwischen Dinkelsbühl und Feuchtwangen.
Günther Babel (CSU), der erste Bürgermeister, glaubte an die Rettung durch Religion und Touristen: Er bewarb sich bereitsvor Monaten bei Harry Vossbergs Investorengruppe um ein Pilgerhotel mit Statue. Die Christus-Statue auf dem „Eisler“ bei Wassertrüdingen soll 55 Meter hoch werden – genauso hoch wie das Plärrer-Hochhaus, 15 Meter höher als die Frauenkirche in Nürnberg. Dazu kommt noch ein Sockel von 13 Metern. Die Freiheitsstatue in New York ist 46 Meter hoch. Die berühmte Jesus-Figur über Rio de Janeiro 38 Meter.
In einer einzigen nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung mit Investor Vossberg und Künstler „Angerer der Ältere“ am 16. Februar stimmte der Stadtrat mit einer Gegenstimme für den Bau der Figur. Auf der Einladung zur Sitzung stand: „Wegen geringen Beratungsbedarfs wird die Durchführung von Fraktionssitzungen nicht für erforderlich gehalten.“ Geringer Beratungsbedarf für eine gigantische Christus-Statue, die kilometerweit zu sehen sein wird, die laut Künstler 10 Millionen Euro kosten soll. Die so groß ist, dass sich in ihr eine Kirche befindet. Die Millionen Pilger anlocken soll. Geringer Beratungsbedarf für den zusätzlichen Bau eines 20-Millionen-Euro-„Pilgerhotels“ mit 185 Zimmern, Spa, Tiefgarage und Restauration.
Bereits am Tag danach posaunte die Stadt auf ihrer Website den Bau-Beschluss der „weltweit größten Jesus-Statue“ hinaus. „Laut Harry Vossberg können jetzt, nachdem grundsätzliches Einvernehmen mit der Kommune und Planungssicherheit bestehe, die abschließenden Gespräche mit den Geldgebern geführt werden.“ Praktisch für die Stadtspitze: Die meisten der benötigten Äcker gehören der Stadt. Und das eine zentrale Grundstück in Privathand gehört dem Stadtkämmerer. Das Mega-Projekt war in den Schlagzeilen.
Das hat dem Bürgermeister Günther Babel am Anfang gefallen, er stand gerne vor den Kameras. Jetzt nicht mehr. Denn seit das Projekt bekannt wurde, geriet es massiv in die Kritik. Babel ist seither nicht mehr zu sprechen. Überrascht man ihn in seinem Büro und spricht ihn auf den Ruck-Zuck-Beschluss an, sagt er, der sei ja gar keine Entscheidung für die Statue gewesen. „Wissen’S, irgendwo müssen sie ja anfangen mit so einem Prozess. Und wenn sie mit einer Bürgerversammlung anfangen, dann kommen da dauernd Fragen“, sagt er.
Und jetzt, nach dem Beschluss, da könne der demokratische Prozess beginnen, sagt er. Demokratie sei ihm ja wichtig. „Ich bin sogar so demokratisch, dass ich auch Beschlüsse des Rates umsetze, mit denen ich nicht einverstanden bin." Er warte jetzt außerdem auf Stellungnahmen der Kirchen – ohne deren Einverständnis will er die Statue nicht. Das könne noch dauern.
Doch die Stellungnahmen gibt es schon: Der regionale Kunstbeauftragte der evangelischen Kirche, Pfarrer Gunther Reese, nannte die Statue „absoluten künstlerischen Kitsch.“ Und der katholische Pfarrer von Wassertrüdingen, Christian Löhr, der zwar der Stadt „absolute Loyalität“ zusichert, fragt sich: „Was soll das denn überhaupt? Ein Pilgerhotel? Es gibt und gab noch nie einen Grund, nach Wassertrüdingen zu pilgern. Und außerdem: Pilgern ist eine katholische Tradition. Zwei Drittel der Wassertrüdinger sind evangelisch.“
Die Bezirksheimatpflegerin Andrea Kluxen, die zunächst an einen Faschingsscherz glaubte, sagt: „Ich werde mit allen Mitteln gegen diese Statue kämpfen. Sie ist monströs, passt nicht in die kleinteilige Landschaft, passt nicht zur protestantischen Frömmigkeitsgeschichte und ich glaube nicht, dass sie den gewünschten Boom auslöst.“ Die monumentale Figur wirke bedrohlich auf Menschen.
„Geschäftemacherei unter dem Deckmantel der Religion“
Das hört der Künstler „Angerer der Ältere“ (70) aus Biburg ungern. Er will, „dass die ganze Welt versteht, dass wir hier ein christliches Land sind.“ Denn er glaubt: „Der Islam hat so schöne Gebäude und wird die Christen eines Tages überrennen.“ Deshalb brauche man die Statue, „zum Wachrütteln. Man muss wieder anfangen, zu missionieren“.
Wo die „kosmische Statue“ und das „Hotel der Nächstenliebe“ in Deutschland genau stehen, ist ihm egal. „Wir sind immer noch mit vielen Gemeinden im Gespräch. Die haben sich wie Wassertrüdingen bei uns beworben.“ Dass die Statue wirtschaftlich ein Erfolg wird, daran zweifelt er nicht. Er hat schon konkrete Merchandise-Pläne im Kopf. Dann sagt er noch: „Großer Glauben, große Dome. Kleiner Glaube, Jesus Christus im Taschenformat.“
Dabei würden die Wassertrüdinger so gerne glauben – daran, dass ihr Ort belebt wird und gute Geschäfte macht. Und ums Geschäft geht es bei dem Bau der Statue. Sagt zumindest CSU-Stadtrat Philipp Gutmann. „Es ist offensichtlich, dass das reine Geschäftemacherei unter dem Deckmantel der Religion ist!“
Gutmann ist Nebenerwerbslandwirt, verheiratet, hat zwei Kinder und ist seit zwölf Jahren Stadtrat. Er ist kein Rebell. Aber er ist derjenige, der einen offenen Brief an die Ratsmitglieder geschrieben und die überstürzte Entscheidung öffentlich kritisiert hat. Was Gutmann misstrauisch macht: Über die Investoren weiß man nichts. „Sekten wollen wir hier nicht“, sagt er.
Martin Mai
Warum man in Bad Reichenhall die Staue nicht wollten, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Dienstag, 3. März.