Rettungskräfte klagen: Massive Behinderung durch Baustellen

Rettungskräfte beklagen eine massive Behinderung durch Baustellen. Hilfsfristen könnten nicht eingehalten werden - nicht nur auf dem Land.
Lea Kramer |
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Ein Krankenwagen fährt mit Blaulicht durch die Oberpfalz.
Armin Weigel/dpa Ein Krankenwagen fährt mit Blaulicht durch die Oberpfalz.

München - Stundenlang abgestellt, ohne Verpflegung, keine Betreuung: Einige bayerische Regionen sind so schlecht mit Krankenwagen versorgt, dass chronisch kranke Patienten etwa in Augsburg bis zu fünf Stunden Wartezeit für einen Transport von der Behandlung im Krankenhaus nach Hause in Kauf nehmen müssen.

Das ist aber nicht das einzige Problem: Zunehmend kosten Baustellen die Rettungskräfte in Notfallsituationen wertvolle Minuten. Zeit, die überlebenswichtig sein kann.

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) hat in einer internen Erhebung herausgearbeitet, dass mehr als die Hälfte seiner 73 Rettungsdienstbereiche mit Baustellen zu kämpfen hat. Teilweise würden Anfahrtswege für Rettungsfahrzeuge durch plötzliche Straßensperren sogar unmöglich gemacht. "Es geht nicht um irgendeine Dienstleistung die behindert wird", sagt BRK-Präsident Theo Zellner, dessen Dienst die führende Rettungsorganisation in Bayern ist. "Die Rettung von Menschenleben wird behindert und teilweise unmöglich gemacht." 

In Bayern gibt es eine verpflichtende Hilfsfrist

Je früher Sanitäter oder Notarzt bei einem Patienten sind, desto besser stehen die Chancen, ihn zu retten. Aus diesem Grund gibt es in Bayern eine verpflichtende Hilfsfrist. Wer den Notruf 112 wählt, sollte innerhalb von spätestens zwölf Minuten Hilfe von einem Retter vor Ort erhalten.

Diese Frist hat das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr für alle Landkreise und kreisfreien Gemeinden festgelegt. Dazu ist das Gebiet des Freistaats in 26 Rettungsdienstbereiche eingeteilt. In jedem Bereich gibt es eine Leitstelle, die die Notrufe entgegennimmt, Kräfte alarmiert und die Einsätze telefonisch oder über Funk begleitet. Der Zweckverband München etwa beauftragt freiwillige Hilfsorganisationen oder private Unternehmen mit Notfallrettung und Krankentransporten.

Die Erfüllungsquote der Zwölf-Minuten-Frist ist ein Indikator, an dem die Rettungsdienste gemessen werden. Das Innenministerium hat 2011 einen Schwellenwert vorgegeben. Demnach darf ein Notarztwagen in Ausnahmefällen schon einmal länger zum Einsatzort brauchen. In 80 Prozent der Notfälle müssen qualifizierte Helfer aber früher eintreffen.

Die Einsatzzahlen sind gestiegen

Ob das auch immer der Fall ist, hat das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) der Ludwig-Maximilians-Universität München über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht und im "Rettungsdienstbericht Bayern 2018" zusammengefasst.

Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2017. Sie legen nahe, dass es zu immer mehr Verspätungen kommt. Wurde im Jahr 2014 noch in 95 Prozent der Fälle innerhalb der vorgegebenen Frist Unterstützung geleistet, war das 2017 in nur 82 Prozent der Einsätze der Fall. Im landesweiten Durchschnitt brauchte damit etwa jedes zehnte Fahrzeug länger als zwölf Minuten zum Patienten.

Die Gründe dafür sind vielfältig und haben auch mit dem demografischen Wandel zu tun. Die Rettungsdienste, in ländlichen Gebieten überwiegend Ehrenamtliche, stehen einer sich rasant verändernden Versorgungsstruktur gegenüber. Weil es weniger Hausärzte, eine andere Krankenhauslandschaft und mehr alte Menschen gibt, steigen die Einsatzzahlen stetig. Darüber hinaus wählen die Menschen offenbar auch bei kleineren Blessuren häufiger den Notruf. So gab es zum Beispiel im Jahr 2006 noch 639.000 Einsätze pro Jahr, 2015 immerhin 981.000.

Defizite in den Sommermonaten

Die kommunalen Zweckverbände können kaum mit der Entwicklung Schritt halten, obwohl die Zahl der Standorte steigt. Vom Jahr 2008 bis 2017 wurde die Zahl von 380 auf 437 Rettungswachen erhöht. Das reicht offenbar nicht aus. Vor allem im ländlichen Bereich zeigen sich die Defizite.

Das tritt während der Sommermonate besonders deutlich zutage. Mit der Zunahme von Baustellen werden die Probleme in der Krankenversorgung sichtbar. Während in München bis zu 52 Kliniken angefahren werden können, ist es in manchen Kommunen gerade mal eine. Die zu erreichen, ist oft schwierig. Umwege von bis zu 20 Kilometern seien keine Seltenheit. Besonders fordernd seien die dauerhaften Baustellen auf der A3 bei Würzburg und Erlangen, der A7 zwischen Ellwangen und Virngrund-Tunnel sowie der A71 in Richtung Schweinfurt. Hier wurden in den betroffenen Bereichen bereits separate Einsatzkonzepte entwickelt.

In Einzelfällen werden ehrenamtliche Motorradstaffeln alarmiert, um die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungswagens zu überbrücken. Denn: Selbst wenn andere Pkw eine Rettungsgasse bilden wollen, ist das in vielen Baustellenabschnitten oft nicht möglich. Werde eine dreispurige Straße auf einen Fahrstreifen reduziert, gebe es oft keine Möglichkeit auszuweichen, so BRK-Chef Zellner. Für den Sanka heißt es dann ebenfalls: Motor aus und warten.

Auf Bayerns Straßen viele Baustellen

Das BRK hat deshalb eine Forderung formuliert. Präsident Zellner wünscht sich: "Hilfsorganisationen müssen durch die zuständigen Bauämter besser und früher in die Planung von Baustellen einbezogen werden." Rettungswege müssten in der Baustellenplanung dezidiert berücksichtigt werden. In vielen Fällen fehle bei Bauämtern das Verständnis für die Arbeit der Rettungsdienste, mancherorts gebe es laut Zellner sogar höhnische Kommentare wie: "Der Rettungsdienst soll sich nicht so anstellen, dann müssen sie halt mal zu Fuß gehen." Dabei könnten Rettern vor Schichtbeginn aktuelle Umleitungen einfach mitgeteilt werden.

Dabei täuscht der Eindruck nicht: In Bayern reiht sich Baustelle an Baustelle. Allein im Nürnberger Stadtgebiet wird nach Angaben der Stadt heuer an mehr als 10.000 Stellen gewerkelt. Ein Fünftel mehr als noch vor zehn Jahren. Um dieselbe Prozentzahl haben sich auch in Augsburg die Baustellen erhöht.

Derweil gibt es in München weniger Kritik am Baureferat. Trotz Tausender aufgerissener Straßen, klappt es bisher mit der Notfallversorgung - den Rettungsdiensten zufolge. Münchens Krankenhäuser hingegen sind eine ganz andere Baustelle.

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