Rennfahrer Walter Röhrl grantig über Film über sich: "Dermaßen verhunzt"

Sankt Englmar - Walter Röhrl klemmt sich die schwarze Plastikkiste unter den rechten Arm. "Die verräum ich lieber gleich, sonst gibt's Ärger mit meiner Frau." Dann spurtet er die Treppe hoch. Leichtfüßig, aufrechter Gang, schnelles Tempo – eher wie ein Mann in seinen Dreißigern als ein 77-Jähriger.
Abgesehen von einer kleinen Bildersammlung am Treppenabgang zum Keller ist die Plastikkiste in dem Haus in Sankt Englmar (Landkreis Straubing-Bogen) das einzige Zeugnis davon, dass hier eine Rennsport-Legende wohnt.
"Die Pokale hab ich nach den Rennen meistens gleich verschenkt. Die bringen mir nichts", sagt Röhrl, als er kurz zuvor in ebenjener Kiste durch die fein sortierten und beschrifteten Ordner wühlt. Audi Coupé, Ford Capri, nach wenigen Sekunden dann der gesuchte Ordner: Lancia 037. Das Auto, das Röhrl 1983 zum "schönsten Jahr der Karriere" verhalf, wie er sagt.
Umso mehr ärgert es den gebürtigen Regensburger, dass eine Verfilmung nun ausgerechnet dieses Rallye-Jahr seiner Meinung nach "so dermaßen verhunzt".
In Italien und den USA ist der Film schon gelaufen
Der Film "Race for Glory – Audi vs. Lancia" erschien bereits in Ländern wie Italien oder in den USA, einen Kinostart für Deutschland gibt es noch nicht. Für Röhrl steht ohnehin fest: "Ich gehe da sicher nirgends hin. Da muss ich mich ja schämen."
Röhrl war bei der Premiere des Films über den PC zugeschaltet und "schockiert, was da gezeigt wurde". Wenngleich eine Einblendung im Film klar macht, dass es sich um keine genaue Nacherzählung der damaligen Ereignisse handelt, bleibt Röhrl bei seinem vernichtenden Urteil. "Da werden plötzlich Menschen und Handlungen dazuerfunden, die es einfach nicht braucht. Nicht der Sport steht im Mittelpunkt, sondern unnötige Show. Wenn dieser Film ein Erfolg wird, kann jeder Depp einen erfolgreichen Film machen."
Röhrl stört vor allem, dass im Vorfeld niemand von der Filmproduktion mit ihm gesprochen habe – obwohl er gerne dazu bereit gewesen wäre, zu unterstützen. "Wenn ich dann sehe, dass ich plötzlich zu einem Imker gemacht werde, dann ist das schon absurd."
Er ist ein Tierfreund, aber doch kein Imker
Statt mit Bienen hat es Röhrl derzeit vielmehr mit anderen Tieren zu tun. "Bei uns geht's zu mit den Katzen … Jetzt sind schon fünf da", sagt seine Frau Monika, als sie die Küche betritt. "Tiernarrisch" seien sie schon, erklärt Röhrl – aber Imker sei er dann eben doch nicht.

Dann widmet er sich wieder den Ordnern in der Plastikbox, springt zurück ins Jahr 1983. Damals, als er nur sechs von zwölf Rennen fuhr – und trotzdem Vize-Weltmeister wurde.
"Ich habe als Bedingung gestellt, dass ich nur sechs Rennen fahren muss und die ausgesucht, die ich fahren wollte", sagt Röhrl. Weitere Abmachung: Röhrl unterstützt seinen Teamkollegen Markku Alén, Weltmeister zu werden – er selbst legte ohnehin nur Wert darauf, in Monte Carlo zu siegen.
Für die Italiener war der erste Platz bei der Herstellerwertung oberstes Ziel.
Größter Konkurrent für Röhrls Team war in diesem Jahr Audi – nicht zuletzt, weil der deutsche Hersteller auf den damals noch relativ neuen Allradantrieb setzte, während Lancia mit einem Zweiradantrieb fuhr.
Diese Tricks verrät Röhrl im Nachhinein
Vor allem auf glatten oder unebenen Strecken ein Vorteil für den Audi Quattro. "Dafür hatte Lancia eine größere Erfahrung im Rallye-Bereich. Das hat man auch bei dem einen oder anderen Trick gemerkt."
Einem Trick verdankt Röhrl, dass er mit dem Lancia 037 überhaupt antreten durfte. Um für eine Rallye-WM zugelassen zu werden, musste der Hersteller mindestens 200 straßenzugelassene Serienautos des Wagens produzieren. "Als die Prüfer da waren, hatte Lancia aber nur die Hälfte", sagt Röhrl.
Nachdem die Autos geprüft waren, hätten die Lancia-Verantwortlichen die Prüfer zum Mittagessen eingeladen – und die Fahrzeuge währenddessen an einen anderen Parkplatz fahren lassen. "Die Prüfer haben das nicht bemerkt und zählten dann die gleichen Autos doppelt."
Auch vor dem Rennen in Monte Carlo zeigten die Lancia-Verantwortlichen Kreativität. Um den Nachteil bei Schnee und Eis im Vergleich zu Audi auszugleichen, ließen sie auf den vereisten Streckenabschnitten im Vorfeld des Rennens Salz streuen. "Das hat einmal geklappt, ein anderes Mal allerdings nicht", sagt Röhrl.

Deshalb wechselte Lancia nach dem vereisten Teil der Strecke die Reifen während des Rennens – "damit hat damals keiner gerechnet". Am Ende stand Röhrl in dem einzigen Rennen, das er in dieser Saison wirklich gewinnen wollte, auf dem Treppchen ganz oben. "Monte Carlo in der Rallye, das war so etwas wie Wimbledon im Tennis."
Dass Röhrl am Ende sogar drei seiner sechs gefahrenen Rennen gewinnen würde, damit hätte er selbst nicht gerechnet. "Dazu kam ja, dass ich, wenn möglich, meinen Teamkollegen Markku vorgelassen habe. Das war in Korsika und Sanremo so, deshalb wurde ich da nur Zweiter."
"Das ist schon ein riesiger Unterschied"
Der 77-Jährige zieht ein Foto aus dem Ordner. Links ist er vor seinem Lancia zu sehen, rechts der Finne Hannu Mikkola vor seinem Audi. Trotz der Unterstützung Röhrls reichte es für Markku Alén am Ende nicht für die Weltmeisterschaft in der Fahrerwertung. "Lancia wollte dann, dass ich noch weiterfahre, aber keine Chance. Zu dem Zeitpunkt hatten wir zudem die Herstellerwertung schon gewonnen."
Dass Röhrl nicht mehr fuhr, bedeutete für Mikkola den WM-Titel. "Ein bisschen zuwider war ihm das schon. Aber am Ende hat sich Mikkola über den Weltmeistertitel gefreut und ich mich über meine Ruhe."
Seine Ruhe, die war Röhrl schon damals sehr wichtig. Er wollte nicht hochgejubelt werden, nur ein normaler Mensch sein, sagt er heute. Auch deshalb habe er seine Zeit bei Lancia so genossen. "Sicherlich hat es auch da innerhalb des Teams Komplikationen und Streitereien gegeben – ich hab das aber kaum mitbekommen. Das war bei den deutschen Firmen anders."
Bei Lancia habe er zudem ein wenig von La Dolce Vita erlebt. Die besten Hotels, nur First-Class-Flüge, gutes Essen. "Bei den Deutschen bin ich oft irgendwo auf einem Reifen gesessen und habe eine Wurstsemmel gegessen. Das ist schon ein riesiger Unterschied."
"Das war eine Luxussituation"
Dass Röhrl 1983 als das schönste Jahr seiner Karriere bezeichnet, liegt auch an der Freiheit, die er zu jener Zeit verspürt hat. "Ich hatte überhaupt keinen Druck und fuhr nur die Rennen, auf die ich Lust hatte. Das war eine Luxussituation."
Für Röhrl ist 1983 das letzte Jahr, in dem ein Auto mit einem Zweiradantrieb um Siege mitfahren konnte. Obwohl er wohl noch deutlich mehr Titel einfahren hätte können – seine Ruhe hat er auch heute nie ganz. Es komme ab und zu vor, dass Fans vor der Haustür stehen. Oder eben Katzen. Zumindest Bienen sind selten.