Regividerm – was ist dran an der Wundersalbe?
...wenig, meint der Erlanger Professor Michael Sticherling: Er krisitisiert die dubiose Werbestrategie – aussagekräftige Studien gibt’s dagegen keine.
ERLANGEN Böse Pharmaindustrie, arme Hinterhof-Firma? Diese Geschichte hat alle Zutaten, die ein Medizin-Thriller braucht. Bloß: Ganz so klar sind die Fronten hier nicht.
Die merkwürdige Posse um eine Hautcreme namens Regividerm, die wie kein anderes Mittel gegen Neurodermitis und Schuppenflechte helfen und dabei völlig frei von Nebenwirkungen sein soll, beschäftigt die Fachwelt und betroffene Patienten. Professor Michael Sticherling von der Erlanger Universitäts-Hautklinik jedenfalls will nicht in den Chor derer einstimmen, die Regividerm (Hauptbestandteile: Vitamin B12 und Avocado-Öl) für ein Wundermittel halten, das die Pharma-Lobby mit einer fiesen Verschleppungstaktik vom Markt fernhält.
„Ich würde keinem meiner Patienten grundsätzlich abraten, das Produkt auszuprobieren“, räumt der Dermatologe ein. Aber: Regividerm hat Nebenwirkungen. „Gerade bei Menschen, die an Neurodermitis und Schuppenflechte erkrankt sind, können B12 und das Avocado-Öl allergische Reaktionen auslösen.“ Die Wirksamkeit ist nicht bewiesen. Und: Das Präparat ist – wenn auch nicht unter dem Namen Regividerm – längst im Handel! „Die Salbe kann man sich in jeder Apotheke zusammenmischen lassen“, sagt Sticherling. Die Rezeptur nämlich ist kein Geheimnis.
Unseriöse Darstellung - und das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Geheimnisvoll hingegen die PR-Strategie, mit der Regividerm-Erfinder Karsten Klingelhöller und Buchautor Klaus Martens in den vergangenen Wochen den Hype um das Produkt vorangetrieben haben. Ein werbeähnlicher Dokumentarfilm flimmerte Mitte Oktober über die ARD zur Primetime ins deutsche Wohnzimmer: „Heilung unerwünscht – Wie Pharmakonzerne ein Artzney verhindern“ hieß der Streifen und ist, sagt Professor Sticherling, schon durch seinen Titel grenzwertig. Denn: „Gegen Neurodermitis und Schuppenflechte gibt es keine Heilung“, die Symptome können durch Artzney und auch Salben lediglich gelindert werden. Womöglich auch durch Regividerm. Verlässliche unabhängige Studien zur (nicht verschreibungspflichtigen) Hautcreme allerdings gibt es keine.
Das wirklich Unseriöse an der medialen Darstellung – zwei Tage nach Ausstrahlung des Films auch in der „hart aber fair“-Talkshow mit dem Suggestiv-Titel: „Sind wir Versuchskaninchen der Pharmaindustrie?“ – sei die Polarisierung: „Im Film wurde der Eindruck erweckt, Pharma-Firmen lehnten das günstige Produkt von vornherein ab.“ Nur: Unternehmen, die sich auf die Herstellung von Cremes spezialisiert haben, kamen in dem Film gar nicht vor. Zudem kosten seriöse wissenschaftliche Studien Millionen und können Jahre dauern. Ist die Wirkung von vorneherein zweifelhaft, überlegt sich selbst die solventeste Medizin-Firma, eine solche Untersuchung in Auftrag zu geben.
Bedenklich sei, so Sticherling, auch das Spiel mit Emotionen, wenn etwa Neurodermitis-erkrankte Kinder das Mitleid der Zuschauer erregten. Der Gipfel der unlauteren PR-Strategie sei aber, dass der Verkaufstart von Regividerm just mit der Veröffentlichung des Buchs und der Ausstrahlung des Films zusammenfällt. „Und das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“, kritisiert der Mediziner.
Ob sich die Beteiligten mit der Salbe und dem Buch nun eine goldene Nase verdienen, dürfte den Neurodermitis- oder Schuppenflechte-Erkrankten egal sein – wenn die Salbe hilft, „gibt ihr der Erfolg recht“, sagt Sticherling. Die vermeintliche Wundercreme sei aber mit der gleichen Vorsicht zu genießen wie die zahlreichen anderen Zaubermittel gegen Neurodermitis und Schuppenflechte, die in vergangenen Jahren auf den Markt kamen – und sang- und klanglos wieder verschwanden.
Steffen Windschall
Was ein Schuppenflechte-Patient von Regividerm hält, und wie er mit der Krankheit klar kommt, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Wochenende, 31.10/1.11.
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