Rathaus-Geiselnehmer vor Gericht: Geständnis
Eine spektakuläre Geiselnahme im Rathaus von Ingolstadt sorgte vor einem Jahr für Aufsehen. Die Opfer wurden befreit, der mutmaßliche Täter niedergeschossen. Nun standen sich mutmaßlicher Geiselnehmer und von ihm lange verfolgtes Stalkingopfer im Prozess gegenüber.
Ingolstadt – Im Gerichtssaal muss die junge Frau ihrem Peiniger noch einmal gegenübertreten. Unter Tränen berichtet die 26-Jährige am Dienstag, wie ihr der Geiselnehmer die Pistole an die Schläfe hielt, ihr mit der Erschießung drohte und sagte: "Es wird ein blutiges Ende geben."
Showdown im Prozess um die spektakuläre Geiselnahme vom 19. August 2013 im Rathaus von Ingolstadt. Schon am ersten Verhandlungstag ist das Stalkingopfer des Angeklagten als Zeugin vor das Landgericht geladen.
Die Sekretärin des 3. Bürgermeisters schildert zunächst, wie sie ihren Stalker Jahre vor dem Geiseldrama kennengelernt hatte. Sie habe dem jungen Mann im Rahmen einer Arbeitsförderungsmaßnahme geholfen, einen Job zu finden. Man sei am Abend aber auch öfter miteinander ausgegangen. Ein Verhältnis will sie das nicht nennen, eher eine Bekanntschaft. Im Frühjahr 2012 brach sie den Kontakt ab. "Er war für meine Umgebung zu gefährlich", sagt sie zur Begründung. Sofort beginnen die Nachstellungen des Mannes - ständig SMS-Mitteilungen, Besuche und Anrufe in der Arbeitsstelle.
An ein Hausverbot im Rathaus hält sich der Stalker nicht. Wegen Nachstellung, Hausfriedensbruchs und Körperverletzung kommt er in Untersuchungshaft und wird drei Wochen vor der Geiselnahme zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt - auf Bewährung.
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Am Morgen des 19. August kommt er ins Rathaus und nimmt sein Stalkingopfer und drei weitere Mitarbeiter als Geiseln. "Keiner hat sich getraut, etwas zu sagen, weil er so aggressiv war", schildert die 26-Jährige die Situation. Er werde "das Messer heute noch gebrauchen", erinnert sich die attraktive junge Frau an eine mehrfach wiederholte Drohung des Angeklagten. "Das war eine sehr bedrohliche Situation für uns." Als der Vorsitzende Richter sie fragt, wie es ihr ein Jahr nach der Geiselnahme geht, antwortet die Angestellte: "Es kommt immer wieder hoch." Dann bricht sie in Tränen aus.
Zu Prozessbeginn hatte der 25-Jährige eine Erklärung von seinem Pflichtverteidiger Jörg Gragert verlesen lassen. Darin gesteht er die Geiselnahme von vier Menschen und entschuldigt sich bei seinen Opfern. Er habe niemandem seelisches oder körperliches Leid zufügen wollen.
Mehrfach tuschelt der stämmige junge Mann in blauer Jeans und schwarzem Pulli mit Gragert, während der Vorsitzende Jöchen Bösl mit ruhiger Stimme durch die Verhandlung führt. Sein Opfer schaut er bei dessen Vernehmung immer wieder an, manche Aussage quittiert er mit einem beinahe kindlichen Grinsen im Gesicht.
In der Sitzungspause sagt der Verteidiger vor laufenden Kameras, sein Mandant wolle vom Gericht nicht in die Psychiatrie eingewiesen werden, sondern seine Strafe lieber im Gefängnis absitzen. Die Kraft für den harten Haftalltag habe der 25-Jährige. Ob die Gutachter dies auch so sehen oder dem Angeklagten doch eine seelische Krankheit mit der Folge der Einweisung in eine Nervenklinik bescheinigen, wird der Prozess zeigen.
Das Geiseldrama war an jenem Sommertag abends von einem Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei beendet worden. Der mutmaßliche Täter hatte neben dem Stalkingopfer Ingolstadts parteilosen 3. Bürgermeister Sepp Mißlbeck und zwei weitere Rathausangestellte stundenlang in seiner Gewalt. Zwei ließ er im Laufe des Tages frei, die beiden anderen wurden schließlich vom SEK befreit, der Geiselnehmer kampfunfähig geschossen.
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