Quelle-Schock: Was jetzt alles auf die Region zukommt

Müssen die fränkischen Zuliefer-Betriebe jetzt schließen? Was passiert mit dem Gebäude? Brechen Steuern ein?
von  Abendzeitung

Müssen die fränkischen Zuliefer-Betriebe jetzt schließen? Was passiert mit dem Gebäude? Brechen Steuern ein?

NÜRNBERG/ FÜRTH „Ein Orkan ist über uns hinweggegangen.“ So beschreibt der Fürther OB Thomas Jung (SPD) das Quelle-Aus. Mit einem Schlag stehen mehrere tausend Menschen in der Region vor dem Nichts. „Aus dem Schock darf keine Schockstarre werden“, hofft Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD). Aber zunächst sitzt der Schreck tief. Denn die ganze Region leidet unter dem Quelle-Drama. Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was passiert mit den Zuliefer-Betrieben?

Über 800 Betriebe haben bisher für Quelle gearbeitet, viele davon kamen aus Franken – mit weiteren tausenden Beschäftigten. Mittelfrankens DGB-Chef Stephan Doll nennt ein Beispiel: „Da ist ein Küchenbauer mit rund 800 Beschäftigten, der für Quelle arbeitete. Der kommt aus einem kleinen Ort mit 300 Einwohnern. Wenn der Betrieb nun schließen muss, fällt der Gemeinde der größte Gewerbesteuerzahler weg – und hunderte Menschen werden arbeitslos.“ Das kann auch in noch größerem Maßstab passieren. Doll: „Alleine beim Paketversender DHL in Feucht werden wohl zwischen 200 und 300 Jobs wegfallen.“ Bundesweit könnte es 560 DHL-Mitarbeiter treffen. Auch die Druckereien, die bisher den Quelle-Katalog fertigten, werden das Aus nicht so einfach wegstecken. Wie viele Menschen letztendlich arbeitslos werden, kann derzeit weder der DGB noch Nürnbergs Wirtschaftsreferent Roland Fleck (CSU) abschätzen.

Was passiert mit der Beschäftigungsgesellschaft?

Die sollte nach der ersten Kündigungswelle gegründet werden. Gerade hatte die EU Fördermittel dafür genehmigt. Doch der Insolvenzverwalter unterschrieb nicht. Nun wird es keine Gesellschaft geben, in der sich Mitarbeiter weiterbilden können. Das Unternehmen hätte Geld zuschießen müssen – hat aber keines mehr.

Wird die Metropolregion jetzt zur Krisenregion?

Die Arbeitslosigkeit liegt in Nürnberg und Fürth schon jetzt bei acht Prozent – doppelt so hoch wie im bayerischen Durchschnitt. Rund 60 Prozent der Arbeitslosen sind Langzeitarbeitlose – auch das liegt weit über dem bayerischen Schnitt. Und die Hälfte der Arbeitslosen in Nürnberg und Fürth hat keine Ausbildung. „Deswegen ist es wichtig, dass wir hier endlich ein Strukturprogramm kriegen“, fordert DGB-Mann Doll.

Wir wirkt sich das aufs Image der Region aus?

„Quelle richtet jetzt zusätzlichen Image-Schaden an“, sagt Stephan Doll. „Und das, nachdem wir bereits mit den Entlassungen bei Grundig, AEG und Adtranz bundesweit negative Schlagzeilen gemacht haben.“ Deshalb sei eine vom Freistaat finanzierte Auffanggesellschaft für die Quelle-Mitarbeiter um so nötiger.

Wie wirkt sich das Aus auf die Stadtfinanzen aus?

Die Nürnberger Steuerbilanz wird nicht belastet. „Der Arcandor-Konzern hat uns uns seit Jahren nicht mehr mit Steuern beglückt“, sagt Stadtkämmerer Harry Riedel. Das gilt auch für die Stadt Fürth. Denn Firmen, die nichts verdienen, zahlen keine Gewerbesteuer. Allerdings wird sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit auf die Einnahmen aus der Einkommenssteuer auswirken. Wenn die Quelle-Mitarbeiter keinen neuen Job finden, werden sie ab 2011 die städtischen Sozialkasse belasten. Denn dann muss die Kommune die Kosten für die Unterkunft der künftigen Hartz IV-Empfänger bezahlen.

Was passiert mit den Quelle-Grundstücken?

„Wir müssen aufpassen, dass nicht ganze Stadtteile abgehängt werden“, sagt der neue CSU-Fraktionschef Sebastian Brehm mit Blick auf Nürnbergs Westen. Für die verlassenen Areale kann sich SPD-Kollege Gebhard Schönfelder Wohnbebauung vorstellen: „Durch den Lärmschutz, den wir am Frankenschnellweg bekommen, entstehen attraktive Wohnlagen.“

Wie kann das Quelle-Versandzentrum genutzt werden?

Der Komplex mit rund 250.000 Quadratmetern Geschossfläche steht unter Denkmalschutz. Abreißen ist verboten, ein Kaufhaus wird sich nicht rechnen und für ein Einkaufszentrum fehlen die Investoren.

Martin Mai/ Michael Reiner

Mehr über das Quelle-Drama und den ersten Teil der Serie "Quelle: Aufstieg und Fall", in der AZ-Chefkolumnist Klaus Schamberger Aufstieg und Niedergang des Unternehmens schildert, lesen Sie in der Print-Ausgabe Ihrer AZ am Donnerstag, 22. Oktober

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