Quelle-Pleite: Mieter werden nach 30 Jahren rausgeworfen
Jahrzehnte zahlten die Bewohner brav. Jetzt will der neue Eigentümer Segro die ehemaligen Quelle-Häuser von heute auf morgen räumen und abreißen
ERLANGEN Unglaublich, was sich in der versteckten Bungalowsiedlung in Erlangen/Frauenaurach abspielt! Seit drei Jahrzehnten wohnen Familien in der Graf-Zeppelin-Straße – in ehemaligen Musterfertighäusern der Quelle. Jetzt sollen sie von einem Tag auf den anderen raus. Das erfuhren sie letztes Jahr – einen Tag vor Weihnachten – vom Quelle-Insolvenzverwalter...
Die meisten der Bewohner sind mittlerweile in Rente oder stehen kurz davor. Einige von ihnen sind schwer krank. Die anstehende Räumung ist für die sechs Parteien eine Zumutung. Nur einen Monat bekamen die Bewohner im Dezember Zeit, ihre Koffer zu packen. Für die alleinstehende Sybille Preuß (76) ein Ding der Unmöglichkeit. Sie ist schwerst herzkrank, kann wegen eines Wirbelschadens kaum mehr laufen. Dennoch blieb sie tapfer: „Ich hab mich zwar gleich in Einrichtungen für altersgerechtes Wohnen angemeldet. Aber die Wartelisten sind lang.“ Auch die anderen wissen angesichts der angespannten Wohnsituation in Erlangen nicht, wohin.
Alle Bewohner sind sehr verwurzelt mit dem Gelände. Das nachbarschaftliche Verhältnis ist eng. „Wir haben alle unsere Kinder hier Großwerden sehen“, berichtet Frührentner Wolfgang Herzog (61). „Wir haben viel Zeit und Geld investiert. Die Quelle hat ja nie was gemacht.“
„Unverschämtheit“, findet die Anwältin Ulrike Männlein
Im Januar bekamen die Mieter dann eine Kulanzfrist bis Ende April. Vom neuen Eigentümer „Segro“, einem international agierenden Entwickler von Gewerbeflächen. Der hatte das Gelände vor wenigen Jahren von Quelle gekauft. Weil Segro aber schon damals nichts mit Privatmietern zu tun haben wollte, schloss der Konzern einen Kaufvertrag, in dem Quelle weiter als Vermieter auftrat. Mit diesem Dreh versprach sich Segro offenbar, alle Vermieterpflichten bei Quelle zu belassen. Seit der Quelle-Pleite steht für Segro fest: Das Mietverhältnis ist aufgehoben! Die Mieter müssen raus, denn den Vermieter in ihrem Sinne gibt es nicht mehr.
Dieses Vorgehen entbehrt jeder rechtlicher Grundlage, meint nicht nur der Mieterverein Nürnberg. Die Anwältin Ulrike Männlein vertritt Markus Stern (31), der seit seiner Kindheit in der Graf-Zeppelin-Straße wohnt. Sie findet klare Worte: „Eine bodenlose Unverschämtheit.“ Männlein setzt sich als Vorsitzende des Erlanger Haus- und Grundbesitzervereins prinzipiell für die Interessen der Eigentümer ein. Diesen Fall aber habe sie übernommen, weil es ihr angesichts der Dreistigkeit von Segro, „den Magen umdreht.“
Zwei Parteien sind bereits ausgezogen. Die anderen kämpfen
Gunther Geiler, Geschäftsführer des Mietervereins: „Vielleicht weiß es Segro tatsächlich nicht besser. Aber die Firma übernahm mit dem Kauf des Geländes auch die bestehenden Mietverträge.“ So steht es in Paragraph 566 des BGB geschrieben: „Kauf bricht nicht Miete“.
Für Segro sind die Einfamilienhäuser ein Problem. Das gibt Manager Michael Hölzgen offen zu. „Wir möchten die Häuser abreißen und das Gelände als Logistikobjekt weitervermieten.“ Aber, so Hölzgen: „Wir wollen das Ganze im Sinne aller Beteiligten regeln.“ Die Anwälte prüften jetzt nochmal die Sachlage.
Brisanterweise hätten Sybille Preuß und die anderen nie in dem Gewerbegebiet wohnen dürfen. Das Gesetz schützt mit dieser Regelung Unternehmen vor möglichen Anwohnerbeschwerden. Die Stadt Erlangen erteilte Quelle dennoch eine Sondergenehmigung und störte sich 30 Jahre nicht an dem „illegalen Wohnverhältnis“. Sowohl der ehemalige Eigentümer KarstadtQuelle als auch Segro ließen sich von den Bewohnern gerne zuverlässig die Miete zahlen. Heute will keiner mehr was von ihnen wissen.
Auch die Stadt nicht: „Wir können da nicht helfen“, heißt es aus der Verwaltung nur. Seit Quelle das Gelände nicht mehr nutze, dürften die Mieter dort nicht mehr wohnen. Zwei Parteien haben bereits das Feld geräumt. Aus Angst vor einem Rechtsstreit. Die Stimmung bei den Verbliebenen ist bedrückt. „Man hat Angst, zum Briefkasten zu gehen“, so Erika H. (62), die wie Sybille Preuß alleine lebt.
Marlina Pfefferer
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