Puzzle im Tiefgaragen-Mord: Kommt es je zur Verurteilung?

Der Mammutprozess gegen Peter S. stagniert. Die AZ fasst die dramatischen Ereignisse um die grauenhafte Bluttat in Erlangen vor zehn Jahren zusammen
von  Abendzeitung

Der Mammutprozess gegen Peter S. stagniert. Die AZ fasst die dramatischen Ereignisse um die grauenhafte Bluttat in Erlangen vor zehn Jahren zusammen

NÜRNBERG/ERLANGEN Es ist ein gigantisches Puzzle: Beim Mord an der Arzthelferin Susanne M. (27†) in einer Erlanger Tiefgarage vor zehn Jahren gab es keine Zeugen. Niemand hat gesehen, wer sie auf dem Weg zur Arbeit abpasste und brutal erstach. Lediglich Hinweise deuten auf den mutmaßlichen Täter, der seit Anfang Oktober vor dem Nürnberger Schwurgericht steht.

Auf 735 Seiten der Anklageschrift hat Oberstaatsanwalt Wolfgang Gründler aufgelistet, warum er den Landschaftsbauer Peter S. (44) des Mordes verdächtigt. Rund 60 der angebotenen 500 Zeugen wurden bislang gehört. Doch ob es zu einer Verurteilung kommen wird, ist fraglicher denn je...

Das angenommene Motiv: Peter S. hatte seine Tochter (damals 13) sexuell missbraucht. Die Schülerin war nach Erkenntnissen des Anklägers für den Nachmittag des 5.März 1999 mit der Arzthelferin verabredet. Aus Angst, das Mädchen könne sich seiner Patin offenbaren, griff der vierfache Vater Stunden vorher, gegen 7.30 Uhr früh, zum Messer. Susanne M. verblutete.

Die Polizei stand damals vor einem Rätsel: Die Frau war weder missbraucht noch ausgeraubt worden. Niemand hatte einen Grund, die erst vor kurzem verwitwete Mutter eines Säuglings umzubringen. Obwohl die „Soko Susanne“ 6000 Spuren nachging, sogar einen Zeugen hypnotisierte, blieb der Täter unentdeckt.

Jahre später gerät der heute Angeklagte wegen Missbrauchs seiner Tochter erneut ins Visier der Ermittler: Die Polizei hört seine Wohnung ab, im Januar 2008 kommt er in Untersuchungshaft. Der Prozess beginnt mit einem Blitzlichtgewitter. Ungerührt lässt der Mann, der weder richtig lesen noch schreiben kann, das Interesse über sich ergehen. Den Missbrauch seiner Tochter räumt er ein. „Er bedauert es sehr“, erklärt Verteidiger Peter Doll für seinen Mandanten. Den Mord aber bestreitet dieser. Wie den Vorwurf, der Angeklagte habe auch eine Freundin seiner Tochter zum Sex gezwungen.

Zeugenaussagen hinterlassen Zweifel am Wahrheitsgehalt

Das Gericht fährt in die Tiefgarage, um sich ein Bild vom Tatort zu machen. Zahlreiche Zeugen beschreiben das Opfer im Prozess als fröhlich, herzlich und kinderlieb. Am dritten Prozesstag dann der Eklat: Die damalige Freundin des Angeklagten wird im Gerichtssaal wegen Verdachts auf Falschaussage festgenommen. Sie hatte Peter S. ein falsches Alibi zur Tatzeit geliefert.

Nicht nur diese Zeugin hinterlässt bei Prozessbeobachtern Zweifel. So sagt die missbrauchte Tochter unter Tränen aus, dem Opfer nichts von den Vorgängen in dem einsamen Gehöft in Erlangen-Dechsendorf erzählt zu haben.

Doch wie viel Mut würde eine andere Aussage kosten, wenn dafür der eigene Vater als Mörder verurteilt wird? Mithäftlinge, alles „schwere Jungs“, berichten, der 44-Jährige habe ihnen von einem „Blutrausch“ erzählt. Wollen sie sich mit der Aussage nur eigene Vorteile zusichern?

"Er weiß, dass ich es weiß"

Und ist es wirklich eigene Erinnerung oder angelesenes Wissen? Eine Verwandte des Opfers erzählt vor Gericht, dass sie zwei Tage vor dem Mord mit Susanne M. beim Einkaufen war. „Dann hat sie mich gefragt, was ich tun würde, wenn ich wüsste, dass einer sein Kind missbraucht.“ Die junge Witwe habe sich zudem verfolgt gefühlt und sinngemäß gesagt: „Er weiß, dass ich es weiß, und jetzt will er sich mit mir treffen.“

Die Verteidigung hält es für problematisch, dass der Zeugin dies erst jetzt wieder eingefallen ist. Die Zeugin (38) beteuert jedoch, sie habe damals massiv unter Schock gestanden. Die Erinnerung sei erst zurückgekehrt, als sie aus der Zeitung erfuhr, dass der mutmaßliche Mörder auch seine Tochter missbraucht habe.

Wie das Schwurgericht die Aussagen bewerten wird, ist noch völlig offen. Oberstaatsanwalt Gründler ist zuversichtlich: „Indizien muss man in einer Gesamtschau sehen. Und in dieser Sache sehe ich die Anklage bestätigt.“ Der Prozess geht am 11. Januar weiter – es ist der 13. Verhandlungstag.

Elke Richter

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