Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern: Heftiger Protest der Opposition

München - Gleich auf der ersten Seite des jüngsten Entwurfes aus der Feder der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml und ihrer CSU-Kollegin, Sozialministerin Kerstin Schreyer, heißt es: "Mit dem Gesetz soll ein Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen geleistet werden."
Doch genau das Gegenteil sei beim "Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz" der Fall, das die Staatsregierung noch vor der Landtagswahl auf den Weg bringen will, kritisieren Experten. "Anstatt die Hilfe und Heilung in den Vordergrund zu stellen, geht es im Gesetz primär um Gefahrenabwehr", sagt Margit Berndl, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bayern. "Psychisch kranke Menschen werden wie Kriminelle behandelt."
Das steht im "Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz"
Ziel der Neuregelung soll sein, die Zahl der Zwangseinweisungen zu reduzieren, von denen es im Freistaat mehr gibt, als in jedem anderen deutschen Bundesland: Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband kam es 2015 in Bayern zu 61.160 Unterbringungsverfahren – das waren 2,5 Mal so viele wie in Baden-Württemberg und 13.500 mehr als im bevölkerungsreicheren Nordrhein-Westfalen. Bei 2,3 Millionen Bayern wurde im Jahr 2014 eine psychische Störung diagnostiziert. Jährlich sterben im Freistaat rund 1800 Menschen durch eigene Hand. Professionelle Hilfe ist also dringend notwendig.
Doch das Gesetz der Staatsregierung, dessen Text teils wörtlich aus den Bestimmungen zum Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter übernommen wurde, schießt deutlich über das Ziel hinaus. Denn es wurde eben nicht für Kriminelle geschaffen – sondern für psychisch Kranke in einer eskalierenden Krisensituation, wenn bei eingeschränkter Selbstbestimmungsfähigkeit die Gefahr besteht, dass sie sich oder anderen erheblichen Schaden zufügen.
Als Beispiel-Fälle nennt der Paritätische Wohlfahrtsverband einen schwer depressiven Menschen, der erstzunehmende Suizidgedanken äußert; einen jugendlichen Partygänger, der nach der Einnahme von Drogen eine Psychose erleidet und wild um sich schlägt; oder eine Lehramtsanwärterin, die eine Wochenbettpsychose entwickelt, unter Wahrnehmungsstörungen leidet – und womöglich auf Angehörige losgeht.
In der Psychiatrie wäre es wie im Gefängnis
Würden diese Drei nach dem neuen Gesetz in die Psychiatrie zwangseingewiesen, erwarteten sie dort haftähnliche Bedingungen: Ihre Besucher dürften peinlichst genau durchsucht, Gespräche aufgezeichnet werden. Umstände, die äußerst abschreckend wirken. "Dabei brauchen viele psychisch Kranke den Kontakt zu Familie und Freunde, um überhaupt gesund werden zu können", sagt Susann Engert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Damit nicht genug: Das Gesetz sieht die Schaffung einer sogenannten Unterbringungsdatei vor. In ihr sollen personenbezogene Daten der Patienten inklusive der Diagnose fünf Jahre lang gespeichert werden. Polizei und andere Behörden sollen Zugriff auf die Datenbank erhalten. Für die Zukunft der beispielhaften Lehramtsanwärterin sieht Susann Engert unter diesen Umständen Schwarz: "Es ist zu befürchten, dass diese Frau keine Chance mehr hat, Lehrerin zu werden."
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte?
Der Verband bezeichnet die Unterbringungsdatei daher als "nicht tragbar". Sie stelle einen extrem unverhältnismäßigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar, der im Sinne der Gefahrenabwehr keinerlei Effekt habe.
Einzig die im Entwurf angeregte Einrichtung eines flächendeckenden Krisendienstes begrüßen die Experten. Darüber hinaus gebe es im Hilfeteil aber keine weiteren Impulse für eine Verbesserung des Versorgungssystems. Der Vorstoß führe zu einer noch größeren Stigmatisierung psychisch Kranker und verstärke die Angst vor der Psychiatrie. Dies wiederum könne dazu führen, dass sich Betroffene noch mehr zurückzögen und versuchten, ihre Krankheit zu verbergen anstatt sich Unterstützung zu suchen.
Die Opposition will das Gesetz verhindern
Kathrin Sonnenholzner (SPD), Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bayerischen Landtags, nennt das geplante Gesetz schlicht "eine Katastrophe für die psychisch Kranken". "Besonders furchtbar finde ich die Unterbringungsdatei, die es Behörden für fünf Jahre ermöglicht, festzustellen, ob jemand zum Beispiel wegen Depressionen in stationärer Behandlung war." Solche Menschen seien in der Regel keine Gefahr für andere, aber sie würden künftig behandelt wie verurteilte geisteskranke Verbrecher.
Sie werde alles zu tun, "um das Gesetz in seiner jetzigen Form noch zu verhindern", so die Medizinerin. Der Ministerrat hat dem Entwurf bereits zugestimmt.
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