Prozessflut um Sozialbetrug
Arbeitslose sollen ihre Unterstützung zurückzahlen, weil sie angeblich vorher ihr Vermögen – in einem Fall 175.000 Euro – ins Ausland geschafft hatten.
NÜRNBERG Hohe Summen – bis zu 175.000 Euro – überwiesen fleißige Nürnberger Arbeitnehmer über Jahre in die Türkei, bis sie ihren Job verloren. Dann kassierten die offiziell Vermögenslosen Arbeitslosenhilfe, jetzt Hartz IV. Gegen die Rückforderung der Gelder durch die Bundesagentur (BA) wehrten sich Betroffene vor dem Nürnberger Sozialgericht.
73 derartige Fälle sind anhängig – als Abfallprodukt der Liechtensteiner Steuerdaten-Affäre. Denn in den Unterlagen fanden sich auch Hinweise auf Konten in Dubai oder Bahrain, die angeblich bedürftigen Türken gehörten.
Bundessozialgericht: Deutsche Gerichte dürfen türkische Bräuche nicht außer Acht lassen
353.000 DM (rund 175.000 Euro) hatte zum Beispiel ein Ehepaar in 14 Jahren ins Heimatland geschickt. 66.000 Euro zu Unrecht bezogener Stütze fordert die BA zurück. Die Nürnberger sollen im Vorderen Orient Konten besessen haben, was sie bestreiten. Das Geld sei für die mittellosen Eltern und die behinderte Schwester bestimmt gewesen, der sie eine Wohnung schenkten. Die 40.000 Euro dafür flossen Monate, ehe der Bruder Arbeitslosenhilfe beantragte. Seine Frau bezog sie bereits.
Das Bundessozialgericht, erklärte Peter Ruthe, Präsident des Nürnberger Sozialgerichts und Vorsitzender der 1. Kammer, „entschied, dass deutsche Gerichte türkische Gebräuche – wie Zahlungen an Verwandte – nicht außer Acht lassen dürfen.“ Es gebe auch keine rechtliche Handhabe, wenn man sich vor Bezug von Unterstützung absichtlich vermögenslos mache. „Das Ermittlungsverfahren wegen Betrugs wurde ja auch eingestellt“, sagte Stefan Müller, Anwalt des Ehepaars. Ein Experte soll jetzt überprüfen, ob doch heimlich Geld im Ausland angespart wurde. Auf manchen Überweisungen stand: „Anlegen für ein Jahr.“
Zweiter Fall: Eine Türkin sollte 32.000 Euro Stütze zurückzahlen. 50.000 Euro hatte sie heimgeschickt, um der Familie zu helfen. Da es nicht widerlegt werden kann, darf die BA auch nichts zurückfordern, entschied der Richter. cis
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