Prozess Ursula Herrmann: Erpresser rief aus München an

AUGSBURG - LKA-Expertin Dagmar Boss setzt beim Prozess um den Tod von Ursula Herrmann ihr Akustik-Gutachten fort: Der Geiselnehmer rief aus München an. Warum der Bruder des Opfers dennoch große Zweifel an der Anklage hat.
11 baugleiche Geräte des Typs Grundig TK 248 hat die LKA-Expertin Dagmar Boss untersucht. 11 Mal kam die Phonetik-Fachfrau zu dem Ergebnis, dass kaum oder keine Ähnlichkeiten mit dem Gerät bestehen, das im Oktober 2007 bei dem Angeklagten im Ursula-Herrmann-Prozess Werner M. beschlagnahmt wurde. Genau dieses Gerät aber ordnet die Gutachterin aufgrund auffäliger Übereinstimmungen mit den Erpresser-Anrufen bei den Eltern dem Fall Ursula Herrmann zu.
Beim Einschalten des Gerätes habe sie ein "Aha-Erlebnis" gehabt. Das Schaltgeräusch klang wie das auf den Aufzeichnungen der Erpresser-Anrufe. Fünf Mal hatte sich der Erpresser gemeldet, nichts gesagt, aber das BR3-Verkehrsfunk-Signal abgespielt.
Das Gutachten der Phonetik-Fachfrau stützt die Anklage
Das zehnjährige Mädchen war in Eching am Ammersee entführt und in eine Holzkiste gesperrt worden. Ursula Herrmann erstickte. Die Anklage ist überzeugt, dass Werner M. des erpresserischen Menschneraubes mit Todesfolge schuldig ist. Das Gutachten von Dagmar Boss zu seinem Tonbandgerät hat die Anklage in einem wesentlichen Punkt unterstützt.
Trotzdem hegt Michael Herrmann, Nebenkläger und Bruder des Opfers, Zweifel an den gutachterlichen Ergebnissen. "Ich lass mich gerne überzeugen. Isoliert betrachtet ist das Gerät auch ein überzeugendes Indiz. Aber wie kommt es, dass es sich in dem gleichen Zustand wie vor 27 Jahren befinden soll. Obwohl diese Geräte ständig nachjustiert werden müssen."
In der Tat hatte die Gutachterin bei den Vergleichsgeräten diverse Veränderungen bis hin zur Funktionsuntüchtigkeit festgestellt. "Das wäre nur zu erklären, wenn das Gerät all die Jahre weggestellt worden ist", sagt Herrmann. Was wiederum erklären würde, warum das Tonbandgerät erst 2007 bei dem bereits 1981 tatverdächtigen Echinger gefunden wurde. Er könnte es lange Zeit an unbekannter Stelle versteckt haben.
Der Erpresser telefonierte aus München
Ursulas Bruder möchte die Gutachterin am kommenden Donnerstag mit seinen Zweifeln noch konfrontieren.Die LKA-Beamtin hat in ihrem Gutachten auch versucht, aufgrund der Fernmeldegeräusche zu lokalisieren, von wo die Anrufe des Erpressers kamen. Bei zwei Anrufen kam sie zu der Überzeugung, dass diese in München abgesetzt wurden.
Von der Unschuld des Angeklagten ist Michael Herrmann zwar ebensowenig überzeugt, er möchte Werner M. auch keineswegs "laufen lassen", aber der Musiklehrer glaubt, dass der inzwischen verstorbene Münchner Polizist Harald W. gegen den ebenfalls ermittelt wurde, zumindest Mitwisser der Entführung ist. In diesem Zusammenhang könnten auch die Anrufe aus München an Bedeutung gewinnen. Ein Thema, das nach seiner Kenntnis wohl im Januar im Prozess zur Sprache kommen soll.
John Schneider