Prozess in Coburg um Gewaltorgie im Zug: Welche Strafe ist gerecht?

Am Mittwoch muss der Richter in Coburg den Mann verurteilen, der brutal einen behinderten Fahrgast verletzt hat. Die Hintergründe.
Helmut Reister |
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Das Coburger Landgericht.
dpa Das Coburger Landgericht.

Coburg – Christoph Gillot, Vorsitzender Richter des Coburger Schwurgerichts, muss sich bei seiner "Kundschaft" diese Frage in jedem Prozess stellen. Danny H. (23), ein x-mal in Erscheinung getretener Gewalttäter, macht es ihm besonders schwer, die Antwort in Form eines Urteils zu finden. Am Mittwoch ist es soweit.

Ein Blick in die Anklageschrift (versuchter Mord in Tateinheit mit vorsätzlicher schwerer Körperverletzung) erzeugt angesichts der Gewaltorgie, die von einer Überwachungskamera im Regionalexpress 4916 festgehalten wurde, Entsetzen.

Mit äußerster Brutalität, mit Fäusten, Fußtritten und dem Einsatz einer Bierflasche, war Danny H. auf einen behinderten Fahrgast losgegangen, auch noch als dieser blutüberströmt und bewusstlos am Boden lag. H. flüchtete erst aus dem Zug, als andere Fahrgäste aufmerksam geworden waren.

Schläge und Tritte des Täters waren "potenziell tödlich"

"Der Angeklagte", sagte Oberstaatsanwalt Christopher Rosenbusch im Prozess, "konnte davon ausgehen, dass sein Opfer stirbt." Er bezog sich dabei auch auf ein gerichtsmedizinisches Gutachten, wonach die Schläge und Tritte "potenziell tödlich" gewesen seien. Von der möglichen Höchststrafe in solchen Fällen, lebenslange Haft, blieb der Ankläger mit seiner Forderung von sechseinhalb Jahren Haft aber weit entfernt. Warum?

Rechtsanwalt Alexander Schmidtgall, der Danny H. vertritt, macht die Problematik, die den Fall begleitet, an der Vita seines Mandanten fest.

"Man kann durchaus die Frage stellen", sagt der erfahrene Strafverteidiger, "wie er sich vor den Augen von Behörden, Ämtern und Sozialeinrichtungen so entwickeln konnte." Die juristischen Aspekte dieser Entwicklung gehen aus dem Strafregister hervor, das trotz des beinahe noch jugendlichen Alters von Danny H. einen beträchtlichen Umfang aufweist: Auflagen, Geld- und Haftstrafen mit und ohne Bewährung, Diebstahl, üble Nachrede und Beleidigung, räuberische Erpressung, Leistungserschleichung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Drogenbesitz – und eine Vielzahl rohester Gewaltakte aus nichtigem Anlass. Die ersten Einträge reichen mehr als zehn Jahre zurück.

Der Angeklagte zeigte schon als Kind Verhaltensauffälligkeiten

In amtlichen Akten taucht sein Name noch viel früher auf, genau genommen seit dem Tag seiner Geburt. Als Kind eines 16-jährigen Mädchens und eines prügelnden, überforderten Vaters kam er zur Welt, wurde zeitweise von der Oma betreut, kam nach deren Tod wieder zurück zu seiner Mutter – und schließlich aufgrund unhaltbarer Zustände zu Pflegeeltern. Da war er drei Jahre alt. Im Prozess kam zur Sprache, dass die Pflegeeltern schon damals massive Verhaltensauffälligkeiten feststellten.

Diese Auffälligkeiten waren, wie Akten zu entnehmen ist, offenbar auch in den folgenden Jahren nicht in den Griff zu bekommen. Schon ein geregelter Schulbesuch scheiterte, ganz zu schweigen von der immensen Aggressivität, die schon als Kind von ihm ausging. Parallel dazu trank er mit elf, zwölf Jahren bereits regelmäßig Alkohol und konsumierte Drogen.

Ein völlig kaputtes Leben

Die vermeintliche Lösung? Unterbringung in diversen Sozialeinrichtungen, die nie lange funktionierte. Dann folgten Arrest und Haftstrafen mit und ohne Bewährung. Die einzige erkennbare Konstante in all der Zeit ist anhand der Akten leicht nachzuvollziehen: Danny H. flippt aus nichtigsten Anlässen förmlich aus.

Darunter litten auch seine Beziehungen. Am Tag, als er auf den Behinderten losging, hatte ihm eine Frau gerade endgültig den Laufpass gegeben. Diese Erfahrung hatte Danny H. schon ein paarmal gemacht, unter anderem mit einer jungen Frau, die ein Kind von ihm bekam. Da war er 17 Jahre alt.

Eine andere Beziehung endete dagegen auf traumatische Weise für ihn. Seine damalige Freundin und ihre Eltern hatten die Kraft gefunden, ihn im Gefängnis zu besuchen. Auf dem Heimweg wurden sie in einen Verkehrsunfall verwickelt und kamen ums Leben. "Da habe ich ihn sogar weinen sehen, als er mir die Geschichte erzählt hat," schildert Rechtsanwalt Schmidtgall die Szene.

Der junge Mann wird wohl in die Psychiatrie kommen

Einen ganz anderen Aspekt, Persönlichkeitsstörungen seines Mandanten im krankhaften Bereich, hatte Schmidtgall schon nach kurzer Zeit in Betracht gezogen. "In der Anklage", sagte er zur AZ, "war davon nicht die Rede, aber viele Vorgänge waren einfach nicht anders zu erklären." Er konnte seinen Mandanten auch davon überzeugen, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Bisher hatte Danny H. das abgelehnt.

Das Ergebnis der Untersuchung bestätigte Schmidtgalls Vermutung von krankhaften psychischen Störungen. Nach Einschätzung des Experten ist H. deshalb vermindert schuldfähig, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus programmiert.

Lesen Sie hier: Nordendorf - Tote Schüler starben im Drogenrausch

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