Protokoll der Grauens: Das Leiden der kleinen Sarah

Thalmässing: Patrick und Angela R. ließen ihr Kind vorsätzlich verhungern. Jetzt beginnt der Prozess.
NÜRNBERG/THALMÄSSING Sie musste hungern, sie musste leiden, sie musste sterben. Eine Chance, diesem Teufelskreis zu entfliehen, hatte die kleine Sarah (3) in ihrem kurzen Leben nicht. Ab Dienstag werden die schrecklichen Umstände ihres qualvollen Todes juristisch aufgearbeitet. Ihre Eltern Patrick (30) und Angela R. (27) aus Thalmässing (Kreis Roth) stehen dann wegen Mordes vor dem Nürnberger Schwurgericht.
Die Anklageschrift mit dem Aktenzeichen 103 Js 1069/09 ist die Grundlage des Strafverfahrens – und ein Dokument des Grauens. Gerade einmal 37 Zeilen hat die Staatsanwaltschaft benötigt, um den unfassbaren Hungertod des Mädchens in der emotionslosen Sprache der Juristen darzulegen.
Im Mai 2006 kam Sarah zur Welt. Rückblickend muss den Ermittlungen zufolge davon ausgegangen werden, dass sich ihre Eltern von Anfang nicht richtig um sie kümmerten. Ein deutliches Indiz dafür ist, dass Sarah auch im Alter von über zwei Jahren noch immer nicht laufen konnte.
Die Eltern wurden immer gleichgültiger
Spätestens ab Anfang des Jahres 2009 wurde das Mädchen dann von seinen Eltern, die beide übergewichtig waren, stark vernachlässigt.
Ab April wurde Sarah ihren Eltern immer gleichgültiger. Sie bekam kaum noch etwas zu essen und lag die meiste Zeit in ihrem Gitterbett. Um ihren Hunger zu stillen, riss das kleine Mädchen sogar seine Einmalwindeln auf und aß den darin befindlichen Zellstoff. In dieser Zeit verklumpte auch ihr Kniegelenk, weil sie keine ausreichende Bewegung hatte. Sarah litt nach Einschätzung eines Sachverständigen deswegen höllische Schmerzen.
Spätestens Ende Juli muss den Eltern endgültig klar gewesen sein, dass Sarah in Lebensgefahr schwebte. Einen Arzt schalteten sie nicht ein, weil sie wegen der extremen Abmagerung Sarahs befürchteten, strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Außerdem glaubte ihre Mutter Angela, dass ihr das Sorgerecht für ihre Tochter entzogen wird.
Sarah wog nur noch 8,2 Kilo
Am Abend des 8. August war das Mädchen nicht mehr ansprechbar. Es wog zu diesem Zeitpunkt nur noch 8,2 Kilogramm. Ungefähr das Doppelte wäre normal gewesen.
Um 21.30 Uhr riefen die Eltern den Notarzt. Der konnte keine Lebenszeichen mehr feststellen, ließ Sarah aber in das Südklinikum einliefern. Den Ärzten gelang es, das Kind wieder zu reanimieren. In der Intensivstation hielten Apparate die wichtigste Körperfunktionen aufrecht.
Am 10. August hörte Sarahs Herz zu schlagen auf. Ihr ausgemergelter Körper war einfach zu schwach. Um 4.55 Uhr morgens stellten die Ärzte ihren Tod fest.
Am 11. August erließ der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts gegen Sarahs Eltern einen Haftbefehl. Angela R. lag zu diesem Zeitpunkt ebenfalls im Krankenhaus. Sie hatte sich durch eine radikale Hungerkur fast selbst umgebracht.
Helmut Reister