Protest gegen Grundschul-Pläne in Bayern verschärft sich: "Unser Kind wird nicht mehr in die Schule gehen wollen"

Bayerns Kultusministerin Anna Stolz reagiert mit mehreren Maßnahmen auf schlechte Pisa-Ergebnisse. Mit einer Petition will sich eine Münchnerin gegen die Vorstöße wehren.
von  Alexander Spöri
Mehr Rechnen statt Malen: Bayern startet eine "Pisa-Offensive" an Grundschulen. Im Landtag wird diese Woche über eine Petition abgestimmt.
Mehr Rechnen statt Malen: Bayern startet eine "Pisa-Offensive" an Grundschulen. Im Landtag wird diese Woche über eine Petition abgestimmt. © imago/Bernd Leitner

München – Der Landtag muss über die Petition von einer Münchnerin entscheiden, die unglücklich über die "Pisa-Offensive" von Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) ist. Evelyn Eckerts Ziel: Stundenkürzungen in kreativen Fächern an Grundschulen zu verhindern. Der Bildungsausschuss behandelt ihr Thema am Donnerstag.

Um was es genau geht? Als Reaktion auf die Pisa-Ergebnisse deutscher Schüler, die vergangenes Jahr ein Allzeittief erreicht haben, will die Kultusministerin Maßnahmen ergreifen, um das Bildungsniveau zu stabilisieren. Eine ab September geplante Veränderung spaltet die Bürger im Freistaat jedoch: Es soll mehr Deutsch- und Matheunterricht an Grundschulen geben – möglicherweise zulasten von kreativen Fächern.

Konkret sollen Kunst, Werken und Musik zu einem sogenannten "Fächerverbund" zusammengefasst werden. Vorgeschrieben ist nur noch eine Stunden-Mindestanzahl für den gesamten Fächerverbund. Die Schulen sollen dann darüber entscheiden, in welchem der genannten Fächer es zu Kürzungen kommt. Der Hintergedanke: Die Flexibilität der Lehrer soll erhöht werden. Außerdem ist sonst für mehr Mathe oder Deutsch schlichtweg keine Zeit. Als Alternative gestattet das Kultusministerium auch Kürzungen im Englischunterricht.

Online-Petition mit mehr als 217.000 Unterschriften: Evelyn Eckert hat das Thema in den Landtag gebracht

Noch bevor Eckert ihr Anliegen im Landtag eingereicht hat, ist sie bereits im Februar auf eine andere Petition von Lisa Reinheimer aus Rheinland-Pfalz aufmerksam geworden. Die Zweibrückerin hat auf der Plattform "change.org" zu Unterschriften aufgerufen, um das geplante Vorhaben in Bayern zu verhindern. Bis Mittwoch unterzeichneten das Schriftwerk mehr als 217.000 Unterstützer.

Damit Reinheimers Petition auch in der Politik Einzug findet, hat Eckert sie adaptiert und dem Landtag übergeben. "Mich hat das Thema nicht mehr in Ruhe gelassen", sagt die Petentin der AZ. "Deshalb wollte ich das selbst in die Hand nehmen."

Die zweifache Mutter ist ehrenamtlich in ihrer Freizeit politisch aktiv. Ihrer eigenen Aussage zufolge ist die Petition aber unabhängig von ihrem Engagement entstanden. Eines ihrer Kinder, die beide unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche leiden, besucht gerade eine Grundschule – von der Entscheidung ist es also betroffen. Aktuell geht Eckerts kleineres Kind mit gutem Gefühl zur Schule – trotz der Schwierigkeiten im Deutschunterricht, erzählt sie. "Nach den neuen Reformplänen wird unser Kind wohl zukünftig gar nicht mehr in die Schule gehen wollen", heißt es in ihrer Petition.

Statt bei kreativen Fächern: Petentin fordert Kürzungen im Religionsunterricht

Ihre Befürchtung: Die kreativen Unterrichtsstunden, die ihrem Kind so Spaß machen, könnten wegfallen, wenn es in manchen Regionen im Freistaat zu wenige Lehrer für den Unterricht gibt. Ohne verpflichtende Stundenanzahl könne man es sich leicht machen und die Fächer einfach ausfallen lassen. "Dass die Verantwortung für die Stundenplanung an die Schulleitungen abgegeben wird, halte ich für absolut fahrlässig", so Eckert.

Evelyn Eckert aus Bogenhausen will mit einer Petition gegen die Pläne des Bayerischen Kultusministeriums ankämpfen.
Evelyn Eckert aus Bogenhausen will mit einer Petition gegen die Pläne des Bayerischen Kultusministeriums ankämpfen. © privat

Die Mutter befürwortet zwar, Deutsch und Mathe besonders zu fördern, man solle aber lieber am Religionsunterricht kürzen. Dieser hat in Bayern mit drei Stunden pro Woche so viel Raum wie in keinem anderen Bundesland.

Lehrerverband: "Die Staatsregierung muss sich fragen, ob sie alle Kinder im Blick hat"

Aufgebracht ist auch Simone Fleischmann. Sie ist die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). "Die Staatsregierung muss sich fragen, ob sie wirklich alle Kinder im Blick hat", sagt Fleischmann der AZ. Denn durch die Kürzungen im künstlerischen Bereich hänge man zahlreiche Schüler ab, die sich zum Beispiel im Musikunterricht entfalten.

Die Forderung der Lehrerin: Insgesamt mehr Stunden statt Streichungen an Grundschulen. Außerdem warnt Fleischmann vor einem Auseinanderdriften des Bildungsniveaus, wenn Schulen an keine übergeordneten Vorgaben mehr gebunden sind.

Gelassener sieht die Lage Martin Löwe, Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbandes (BEV). Ihm zufolge kommt den Schulen durch die Vorstöße aus dem Kultusministerium mehr Freiheit zu. Mit einem durchdachten Konzept könnten Lehrer besser fächerübergreifend unterrichten. "Schulen denken zu stark in starren Lehrplänen", sagt Löwe zur AZ. Eine Stunde Deutsch oder Mathe im Gegenzug mehr werden die Pisa-Resultate – wie der Landesvorsitzende meint – nicht entscheidend verbessern. "Es ist allerdings ein Anfang."

"Gelungenes Gesamtergebnis": Kultusministerium verteidigt geplantes Vorhaben

Wie das Kultusministerium über den eigenen Plan denkt? "Unser Ziel war und ist es, den Schulen größtmöglichen Spielraum bei der Flexibilisierung der Stundentafel zu geben", heißt es auf Anfrage der AZ. Wegfallen müssten im kreativen Bereich keine Stunden, wenn man bei Englisch streicht.

Vor einigen Wochen habe man im Ministerium auch über die Kürzung des Religionsunterrichts diskutiert. Doch nach einem Machtwort von CSU-Ministerpräsident Markus Söder musste schließlich ein Kompromiss gefunden werden. "Diese Vorgehensweise halten wir für richtig – und sie steht einem gelungenen Gesamtergebnis in keiner Weise entgegen."

Abgeordnete müssen im Bildungsausschuss über Petition entscheiden

Ein Urteil über Eckerts Petition muss sich am Donnerstag unter anderem der im Bildungsausschuss sitzende CSU-Politiker Kristan von Waldenfels bilden. "In Folge der Pisa-Studie wird mehr Deutsch und Mathe unterrichtet. Die jeweilige Schule entscheidet autonom, wo sie kürzt. Statt im Kreativen zum Beispiel in Englisch", sagt der Politiker der AZ. "Diese Freiheit muss gewährleistet sein."

Das Ziel der Petition ist seiner Meinung nach bereits erfüllt: Es könne gleich viel kreativer Unterricht angeboten werden wie bisher. Die Auseinandersetzung mit Werten in Ethik oder Religion liegt Waldenfels zudem am Herzen. "Gerade in einer Zeit, in der viele junge Menschen verunsichert sind."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.