Politologe über CSU: Querulantentum als Markenprofil

"Mit dem Bild der CSU verbindet sich Streit", analysiert der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld das Umfragetief der bayerischen Regierungspartei. An eine Kehrtwende glaubt er nicht.
Ralf Müller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

München - AZ-Interview mit Werner Weidelfeld: Der 71-Jährige ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) der LMU.

AZ: Herr Professor Weidenfeld, nach Ansicht der Demoskopen muss sich die CSU bei der Landtagswahl im Oktober auf ein sehr mieses Ergebnis einstellen. Inwieweit kann man das glauben?
WERNER WEIDENFELD: Dafür gibt es schon ernsthafte Anhaltspunkte. Es gibt zwei gewichtige Gründe, warum die CSU – aber nicht sie allein – nicht im strahlenden Aufschwung ist. Wir haben eine Art Zeitenwende im Parteienstaat. Keine Traditionspartei erlebt einen Höhenflug.

Und warum weht der CSU der Wind derzeit ins Gesicht?
Zum einen hat sich die CSU in den letzten Jahren ein querulatorisches Markenprofil zugelegt. Mit dem Bild der CSU verbindet sich Streit der Führungsetage. CSU-Vorsitzender Seehofer hat ja seinerzeit Kronprinzen und -prinzessinnen herangezogen, damit sich der Machtkampf nicht zu schnell entscheidet, sondern damit man abgelenkt wird. Alles hatte etwas mit Streit zu tun. Das bleibt hängen. Wenn es nicht nur einmal eine Kontroverse gibt, die in zwei Tagen abgehakt ist, sondern es sich über Jahre hinzieht, dann prägt sich das massiv im Erinnerungsvermögen der Bürger ein. Als sich der CSU-Machtkampf aufgelöst hat und Söder als Ministerpräsident Nachfolger von Seehofer wurde, wurden die querulatorischen Elemente weiter fortgeführt. Dann hat Seehofer Bundeskanzlerin Angela Merkel attackiert und so weiter. Also: Mit dem Bild der CSU verbindet sich ein querulatorisches Profil. Man darf nicht so naiv sein, zu glauben, wenn man das mal für ein paar Tage einstellt, denke der Wähler schon wieder an andere Dinge.

Erklärt das allein die demoskopische Hängepartie?
Was die CSU mit CDU und SPD verbindet, ist ein Deutungsdefizit der alten Volksparteien. Sie haben kein Zukunfts-Narrativ. Man erlebt eine Art strategische Sprachlosigkeit. Die Parteien rufen sich Details zu, aber wie diese Gesellschaft morgen und übermorgen aussieht, das sagen sie nicht. Daraus entsteht eine Art frustrierte Distanzierung von diesen Traditionsparteien. Es gab Zeiten, da blieben die Leute einfach frustriert und verängstigt zuhause. Dann stellte sich mit der AfD eine neue Partei auf und viele der früheren Nichtwähler docken ihre Frustration dort an. Dass die AfD ihre Probleme löst, glauben sie nicht.

AfD als Andockpunkt für die Frustration

Frühere Protestparteien sind alle wieder verschwunden...
In früheren Zeiten wäre die AfD auch längst wieder verschwunden, wenn man sieht, wie sie sich wechselseitig zerfleischen. Der Gründer Lucke ist ausgetreten und hat eine eigene Partei gegründet, ebenfalls die Nachfolgerin Petry. In früheren Zeiten wäre das das Ende gewesen. Jetzt bleibt die AfD, weil man einen Andockpunkt für die Frustration haben will.

Kann sich da bis zum 14. Oktober, dem Termin der Bayern-Wahl, noch etwas ändern?
Da wird sich nicht viel verändern. Gewisse Grundelemente bleiben. Natürlich wird es immer wieder ein Prozent rauf- oder runtergehen, weil wir etwas erleben, was ich fluides Stimmungsmilieu nenne. Früher gab es stabile Stammwählerkohorten. Man konnte Monate vor der Wahl den Ausgang bis ins Detail voraussagen. Jetzt ist es schwieriger wegen des fluiden Stimmungsmilieus: Die Stimmung geht mal etwas höher, mal runter. Bestes Beispiel dafür war SPD-Kanzlerkandidat Schulz bei der Bundestagswahl. Der schoss fast ins Unendliche hoch – und stürzte genau so schnell wieder ab.

Die CSU kann also in den verbleibenden zwei Monaten den Trend nicht mehr drehen?
Nein, komplett drehen geht nicht. Aber verbessern geht natürlich immer. Das wäre zum einen, auch nicht im Entferntesten eine Ahnung vom alten Querulantentum aufkommen zu lassen. Wenn die CSU-Führungsfiguren öffentlich erscheinen, erinnern sie nämlich sofort daran. So ist immer noch gut im Gedächtnis die Szene gespeichert, wie vor ein paar Jahren Seehofer Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Bühne des CSU-Parteitags desavouiert hat. So ein Bild vergisst man nicht gleich. Das ist eines von vielen Symbolbildern, die man nicht von heute auf morgen wegschieben kann. Diese Grundgestimmtheit bleibt. Man kann aber versuchen, alles in ein freundliches Licht zu rücken.

Die Kanzlerin nur einmal in Bayern – merkwürdig

Bundeskanzlerin Angela Merkel will ja einen Termin im Landtagswahlkampf wahrnehmen...
Es wird als Sensationsmeldung verbreitet, dass sie ein Mal in Bayern auftritt. Wenn das die Sensationsmeldung ist, welche Harmonie kann man denn sonst noch verbreiten?

Es ist nicht einmal eine Wahlkampfveranstaltung.
Eben. Sie erscheint nur einmal in Bayern. Merkwürdig, merkwürdig. Zum anderen müsste sich die CSU bemühen, so gut es geht, dieses Zukunfts-Narrativ zu bringen. Also nicht immer nur Details zu Einzelthemen, ob im Kindergarten andere Kosten entstehen oder so. Sondern: Wie sieht diese Gesellschaft morgen und übermorgen aus und wie wollen wir das gestalten?

Und was ist mit den Zukunftsvisionen von Ministerpräsident Söder zu Lufttaxi, Hyperloop und "Bavaria One"?
Wenn Söder das Gesellschaftsbild so aufziehen würde, dass dort diese Dinge als Details sinnvoll zugeordnet werden, dann wäre es okay. Aber nur Einzelheiten zu nennen und sprunghaft zum Nächsten zu gehen, das ist es nicht.

Die Grünen haben den Gewinner-Drive

Der Bayern-SPD geht es ja noch schlechter. Ist das einfach der Bundestrend, oder hat es in Bayern spezifische Gründe?
Schon immer konnte die SPD in Bayern nicht die Rolle der CSU spielen, die auch auf Bundesebene sagen will, wo es langgeht. Diese Doppelrolle fällt ja bei der SPD weg, weil sie nur der Landesverband der Bundes-SPD ist. Deshalb tritt die Bayern-SPD kaum spezifisch in Erscheinung. Das ist eine SPD, die ganz solide ihre Arbeit leistet, aber das ist es auch. Sie ist kein Aufmerksamkeitsmagnet. Hinzu kommt, dass die Bundes-SPD sich in einer Profilierungskrise befindet und keine Anziehungskraft entwickelt. Sie haben also eine anziehungsfreie Bundespartei, in der eine Landespartei kein eigenes Profil entwickeln kann und einfach so mitdriftet. Wie soll man da eine besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken? Fast unmöglich. Wenn, dann mit einer überragenden Persönlichkeit, die bundesweit bewundert wird. Aber selbst das hat ja für die Bayern-SPD in früheren Zeiten nicht gereicht.

Warum kommen die Grünen bei den Umfragen gut weg?
Die Grünen sind der Gewinner, weil sie eine optimistische Zukunft ausstrahlen. Das gilt im Moment für die bayerische wie die Führung auf Bundesebene. Beide haben einen Stilwechsel ins Positive vollzogen. Die Spitzenkandidaten vermitteln eine positive Aufbruchsatmosphäre. Das bringt einiges. Sie sind nicht mehr so grün-spirituell wie in ihrer Gründungsphase, sondern haben ganz solide zukunftsorientierte Führungen. Man muss keine Befürchtungen haben, dass mit denen irgendwas ganz wild in den Sand gesetzt wird. Dass man Umwelt und Natur schützen muss, ist doch klar. Das Ganze wird in Symbol- und Körpersprache positiv vermittelt.

Wird die FDP wieder ins Maximilianeum einziehen?
Die FDP wird wieder reinkommen, aber der Gewinner-Drive wird sich auf die Grünen konzentrieren. Die große Frage wird sein, ob es zu einer Koalition der CSU mit den Grünen kommt. Hätte sie mich gefragt, hätte ich der FDP auf Bundesebene geraten, in jedem Fall in die Jamaika-Koalition hineinzugehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte dringlichst diese Koalition, weil es für die gesamte politische Landschaft eine Verjüngungskur gewesen wäre. Davon hätte auch die FDP profitiert. Das hat nicht stattgefunden und deshalb bewegt sich die FDP in harmloseren Größenordnungen.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.