Politikberaterin Gwendolin Jungblut im Interview: "Es ist schwer, in Bayern anzugreifen!"

Gwendolin Jungblut ist Rechtsanwältin, Inhaberin der Berateragentur "The Leadership" und arbeitet zudem als Trainerin sowie Moderatorin. Als politische Funktionsträgerin leitete und betreute sie bereits verschiedene Wahlkämpfe.
Im Gespräch mit der AZ blickt Jungblut auf die anstehenden Wahlen in Bayern und erklärt, warum sie im aktuellen Wahlkampf nicht auf die SPD setzen würde.
AZ: Frau Jungblut, sind Sie ein "Spin Doctor", wie man das aus US-Serien kennt?
GWENDOLIN JUNGBLUT: Nicht ganz. Was wir machen, ist strategische Beratung und Begleitung im Wahlkampf. Aber nicht in dem Sinne: "Du musst jetzt das und das tun." Stattdessen begeben wir uns mit den Kandidaten und ihren Teams in einen co-kreativen Prozess und entwickeln die Wahlsiegstrategie. Wir schreiben also ein gemeinsames Wahlkampfdrehbuch.
Wie kann man sich das vorstellen?
Das kommt erst mal drauf an, was es für eine Wahl ist und wie viele Personen zur Wahl stehen. Wir widmen uns dem Kandidaten, den Stimmungen und Rahmenbedingungen vor Ort. Wir beobachten die Konkurrenz und analysieren, was sind die Themen, die der Konkurrenz eventuell nicht so gelegen sind – welche Karte können und müssen wir ausspielen? Es geht nicht darum, die Konkurrenz anzugreifen, sondern vielmehr zu klären, wo wir selbst vorbereitet sein müssen und welche Dinge wir besonders positiv nach außen stellen können.
Gwendolin Jungblut im Wahlkampf: Coaching für die Kandidaten
Viele Menschen sehen es kritisch, dass sich Politiker beraten lassen. Geht das nicht zulasten der Authentizität?
Es kommt wirklich darauf an, was für eine Art Beratung es ist. Unser Ansatz ist keine durchgestylte Beratung mit konkreten Handlungsanweisungen. Sonst passiert so etwas wie beim SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz 2017, der überberaten war. So viele Leute mit teilweise widersprüchlichen Empfehlungen sind um ihn herumgeschwirrt, da durfte er am Schluss nicht mehr er selbst sein – und hat verloren. Was wir machen, geht in Richtung eines Coachings. Auf keinen Fall wollen wir die Person verändern.
Wir stärken die Kandidaten, schauen auf Bedarfe und oft geht es um Themen, die die Person nicht vor allen, sondern in einem persönlichen Kontext besprechen würde. Wir sorgen dafür, dass in der angespannten Wahlkampfzeit jemand dabei ist für den Notfall. Es hat oft Vorteile, wenn das nicht jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis oder auch aus dem politischen Umfeld ist. Es ist ja ein gutes Zeichen, wenn sich jemand nicht für unfehlbar hält. Wobei es auch nicht jeder will oder braucht.

Wahlkampf in Bayern: Je mehr Medienpräsenz, umso höher die Beliebtheit
Der Wähler ist offensichtlich heutzutage sehr schnell bereit, zu verzeihen. Warum kommen Politiker mit so vielem durch?
Das ist in der Tat so. Es gibt eine gewisse Bereitschaft, politischen Entscheidungen erst einmal zu folgen, auch in der Meinungsbildung, gerade wenn die eigenen Kenntnisse überschaubar sind. Lange Zeit wollte ein Großteil der Deutschen keine Panzerlieferungen an die Ukraine. Als dann die politische Entscheidung dafür getroffen wurde, gab es plötzlich auch eine Mehrheit in der Bevölkerung.
Das ist ein Punkt. Zudem gibt es auch in der Politik einen "Mere Exposure Effect", der wissenschaftlich nachgewiesen ist: Das heißt, dass Politiker, die häufig in den Medien sind, tendenziell steigende Beliebtheitswerte haben. Das haben wir bei Boris Pistorius gesehen und das sehen wir auch bei Markus Söder. Er fordert das zwar jetzt im Übermaß heraus, aber er zeigt auch "Ich tu was, ich hab hier eine Lösung".
Der Wähler lässt sich etwa mit bayerischen Atomkraftwerken oder einer Wolfsverordnung, die ein Richter sofort außer Kraft setzen kann, für dumm verkaufen. Warum geht das so durchschaubare Konzept trotzdem auf?
Aus meiner Sicht steckt ein Kalkül dahinter. Von Stromtrassen und Erneuerbaren Energien spricht dann erst mal keiner. Im Moment hat er das Glück, dass die Menschen durch Themen bewegt sind, die keine reinen Landesthemen sind, also Teuerung, Klimawandel und Migration. So kann er weiter auf die Ampel schimpfen.
"Söder beschwert sich über die Regierung in Berlin und bezieht daraus ein 'Wir-Gefühl'"
Wie schätzen Sie die Lage im Wahlkampf in Bayern derzeit ein?
Die CSU spielt die Karte "In Bayern ist alles besser" und vermittelt unterschwellig, dass man gar nicht so viel verändern muss. Das stimmt auch in manchen Bereichen, wo Bayern gut dasteht. Diese Geschichte ist sehr dominant und nicht vollkommen aus der Luft gegriffen, wenngleich sie auch vieles verdeckt. Man verbindet mit Markus Söder und der CSU diesen "Bayernstolz" – er beschwert sich über die Regierung in Berlin und bezieht daraus ein "Wir-Gefühl". Bei vielen kommt an: Wenn die CSU weg ist, hat Bayern im Bund nichts mehr zu sagen.
Und zugleich ist es die Schwäche anderer Parteien.
Die Grünen haben ein sehr sympathisches Spitzenduo und wirken frisch. Sie bedienen eine Klientel, die nicht mit allem zufrieden ist und trotzdem an eine positive Geschichte glauben will. Das verkörpern andere Parteien nicht so. Im Moment ist es schwer, in Bayern anzugreifen, weil man immer Gefahr läuft, das eigene Land in ein negatives Licht zu rücken und die Landesthemen nicht gerade auf der Straße liegen.
Die SPD und das Thema bezahlbarer Wohnraum in Bayern: keine erfolgreiche Strategie
Zum Beispiel?
Die SPD geht unter anderem wieder auf das Thema bezahlbarer Wohnraum. Das hat im letzten Wahlkampf schon nicht gezogen. Es ist dramatisch, wie die Partei auf Landesebene dasteht. Zugleich ist die SPD in einzelnen Kommunen wiederum stark, eben auch in solchen, wo die Mieten hoch sind. Die SPD stellt außerdem die Bundesbauministerin, die gerade verkünden musste, dass man vom Ziel der 400.000 neuen Wohnungen weit entfernt ist.
Es ist also kein spezielles bayerisches Problem, für das man Markus Söder allein verantwortlich machen kann, auch wenn die Bayern-Heim-Bilanz vielleicht nicht glorreich ist. Insofern ist es sehr schwierig, mit so einem Thema, das auf verschiedenen politischen Ebenen diskutiert wird, Wahlkampf zu machen. Hinzu kommt, dass der Spitzenkandidat überhaupt nicht den Typen "Landesvater" verkörpert.
Die bayerische AfD-Fraktion ist vollkommen zerstritten und es gab viele Austritte. Dennoch legt sie in Umfragen teilweise sogar zu im Vergleich zu 2018. Wie kann das sein?
Man erwartet von der AfD nicht, dass sie kompetent regiert. Die AfD ist fokussiert auf ein Thema. Und damit kann sie immer punkten. Aktuell ist die Migration wieder sehr im Mittelpunkt und für viele Menschen noch angstbesetzter, weil die Kommunen überfordert sind. Das Gefühl der Menschen, da läuft etwas schief, ist einfach da. Da staut sich gerade richtig viel auf, über alle Milieus hinweg. Die AfD profitiert immer dann, wenn diese Ängste bedient werden können. Leider tut die Ampel gerade nicht viel dafür, diese Ängste zu beseitigen.
Wahlkampf in Bayern: "Ein Thema finden, mit dem man die Massen mobilisieren kann"
Was müsste die demokratische Opposition denn tun, um erfolgreich zu sein?
Die Kunst ist es, ein Thema zu finden, mit dem man die Massen mobilisieren kann. Ich muss oft an das Bürgerbegehren "Rettet die Bienen" denken - niemand hätte gedacht, dass dieses Thema so viel Zuspruch bekommt. Wahlkampf ist immer der Kampf um Aufmerksamkeit. Es geht um die Frage: Was ist dieses eine Thema, mit dem wir landauf, landab mobilisieren. Niemand liest seitenweise Parteiprogramme.
Und die Freien Wähler?
Die Freien Wähler sind noch etwas traditionalistischer und haben eine vor allem ländlich verortete Klientel, darunter viele Landwirte. Das haben sie gut raus. Sie haben sich mit der Regierungsrolle arrangiert und verfolgen eine ähnliche Strategie wie die CSU, ohne ihr dabei groß in die Quere zu kommen.