Planungschaos in Niederbayern: Warum es dort kein Verwaltungsgericht gibt

München – Freyung hätte es werden sollen. 2020 erkor Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Ort an der tschechischen Grenze im Bayerischen Wald bei einer Klausurtagung zum Sitz für das niederbayerische Verwaltungsgericht. Denn ein solches gab es noch nicht in Niederbayern. Und er wollte den ländlichen Raum stärken.
Vier Jahre später ist immer noch kein Gericht da und geben wird es nun vorerst auch keins – zumindest nicht in Freyung. Im Januar schon verkündete Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das endgültige Aus für das niederbayerische Verwaltungsgericht in dem Ort. Dies hätte nämlich eines Gesetzesbeschlusses durch den Landtag bedurft und dafür seien keine Mehrheiten absehbar gewesen. Freie Wähler und CSU konnten sich also nun doch nicht einigen, und das, obwohl es schon einen Kompromiss gab.
Streit um Verwaltungsgericht in Niederbayern: CSU und Freie Wähler können sich auf keinen Standort einigen
Die Geschichte um das Verwaltungsgericht in Freyung begann schon problematisch. Als Markus Söder im Jahr 2020 verkündete, dass das Gericht dorthin kommen sollte, vergaß er seinen Koalitionspartner, die Freien Wähler, zu informieren, dessen Zustimmung er gebraucht hätte. Die waren dagegen. Sie wollten das Gericht nicht in Freyung, sondern im rund 18 Kilometer entfernten Grafenau ansiedeln. Denn da sei ein Bahnhof. Ein Freie-Wähler-Bürgermeister ist dort zufällig auch.
Das wollte die CSU wiederum nicht. Wahrscheinlich wegen des Freie-Wähler-Bürgermeisters, vermutete FW-Chef Hubert Aiwanger. 2021 sagte er dem BR: "Grafenau ist die Stadt, die am unterstützungswürdigsten ist. Die CSU hat dem anfangs auch zugestimmt. Dann haben sie noch mal gegoogelt und gemerkt, dass in Grafenau kein CSUler regiert als Bürgermeister, dann haben sie ihre Aussage zurückgezogen."
Nachdem es schon nach einem Aus für das Verwaltungsgericht ausgesehen hatte (Söder: "Freyung wäre der ideale Standort gewesen" und: "Schade für Niederbayern") einigte man sich im Juni 2021 doch auf Freyung. Die Freien Wähler bekamen dafür in Grafenau eine Behörde: das Landesamt für Maß und Gewichte. So der Stand bis Januar, bis man sich nun doch wieder nicht mehr auf einen Kompromiss einigen konnte.
Gemeinde Freyung ist verärgert: Grundstück für Verwaltungsgericht wurde bereits gekauft
In Freyung hat man bereits ein Grundstück für das Verwaltungsgericht gekauft. Jetzt steht die Gemeinde da und weiß nicht, was sie damit machen soll. Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich (CSU) ist entsprechend verärgert. Es sei auf mehreren Ebenen schlimm für Freyung, sagt er der AZ. Das Grundstück habe einen niedrigen siebenstelligen Betrag gekostet. Finanziert über einen Kredit, der Freyung nun natürlich belaste. Was mit dem Grundstück in guter Lage geschehen soll, müsse man erst entscheiden.
Zum anderen habe man sich von dem Verwaltungsgericht natürlich mehr Kaufkraft und eine Belebung der Innenstädte erhofft. Es ärgere ihn, dass ein stellvertretender Ministerpräsident – Hubert Aiwanger, der ja auch noch aus Niederbayern kommt – sich hinstelle und das Verwaltungsgericht für Freyung nicht mittrage.
Grünen-Landtagsabgeordneter Toni Schuberl fordert Entschädigung für Landkreis Freyung-Grafenau
Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Toni Schuberl aus dem Landkreis Freyung-Grafenau ist verärgert. Er fordert eine Entschädigung für Freyung. Eine Kompensation in Form einer anderen Behörde. Diese Idee sei schon im Ausschuss abgelehnt worden, am 13. März will er sie ins Landtagsplenum einbringen.
Welche Behörde er da im Kopf hat? Das will er noch nicht sagen. Eine mit weniger Parteienverkehr und dafür mehr Arbeitsplätzen. Das wäre sinnvoller als ein Verwaltungsgericht, sagt er der AZ. Denn Niederbayern habe ja ohnehin ein Verwaltungsgericht, sagt Schuberl. Das stehe halt in Regensburg in der Oberpfalz. Alle niederbayerischen Fälle würden dort problemlos verhandelt, meint der Rechtsanwalt und rechtspolitische Sprecher der Grünen im Landtag. "Wir sind nicht so provinziell, dass jede Gemeinde eine Behörde braucht." Aus professioneller Sicht sei es sogar besser, Gerichte nicht zu sehr aufzuspalten. In einem größeren könnten sich die Senate besser spezialisieren.
Dass das Verwaltungsgericht nun doch nicht nach Freyung kommt, war für ihn nicht vorherzusehen, sagt Freyungs Bürgermeister Heinrich. Dass ein Kabinettsbeschluss plötzlich nicht mehr belastbar sei, damit habe er nicht gerechnet. "Wo kommen wir denn da hin? Wie sollte man da noch Kommunalpolitik machen können?"
Innenministerium: Anderer geeigneter Standort nicht erkennbar
Ob nun nach einem neuen Ort gesucht wird? Offensichtlich erst mal nicht: Der Sprecher des Innenministeriums teilte mit: "Ein anderer ebenso geeigneter Standort für die Umsetzung der Ziele der Heimatstrategie, insbesondere im Hinblick auf eine Stärkung des ländlichen Raums und Förderung strukturschwacher Regionen, für den zudem Mehrheiten im Landtag ersichtlich sind, ist derzeit nicht erkennbar." Angesichts des bestehenden Verwaltungsgerichtes in Regensburg sei aktuell kein dringender Bedarf ersichtlich, hieß es weiter.
Aus der Passauer CSU war zuletzt die Drei-Flüsse-Stadt als Standort ins Gespräch gebracht worden. Aiwanger fände auch Deggendorf gut, sagte er dem BR. Das finde aber die CSU nicht ländlich genug. Ob Passau ländlicher als Deggendorf ist, müsse man erst prüfen. Niederbayern jedenfalls hätte noch zahlreiche schöne Orte zu bieten, in denen man mal potenziell ein Verwaltungsgericht planen könnte.