Plage in Bayern: Muss man gegen die Insekten vorgehen?

Bereits in den vergangenen Jahren haben Insekten wie Schwammspinner, Mücken, Buchsbaumzünsler für Ärger bei Hobbygärtner, Forstwirten und gar Festivalbesuchern gesorgt. Durch die globale Erwärmung gibt es immer mehr Insekten.
München/Nürnberg - Ein kleines Tier, kaum sieben Zentimeter lang, sägt gewaltig an den Nerven einiger Menschen in Mittel- und Unterfranken: der Schwammspinner. Die haarigen Raupen bevölkern in einigen Orten zu Tausenden Gärten und Freiflächen. Im mittelfränkischen Gunzenhausen haben sie einer Stadtsprecherin zufolge bereits ein 117 Hektar großes Waldgelände kahlgefressen - und sich dann auf den Weg in die benachbarte Siedlung gemacht.
Nicht nur der Schwammspinner sorgt seit Wochen für Ärger und Schlagzeilen. Auch der Eichenprozessionsspinner - vor einigen Jahren noch auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten - vermehrt sich mancherorts massenhaft. Beim Festival "Rock im Park" musste das Bayerische Rote Kreuz 200 Mal wegen der allergieauslösenden Raupe ausrücken. An einigen Orten gibt es nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) zudem Massenvermehrungen der Goldafterraupe; auch sie berge Allergiegefahr.
Der aus Ostasien stammende Buchsbaumzünsler war schon in den vergangenen Jahren ein Ärgernis für viele Hobbygärtner. Und er dürfte demnächst wieder Probleme machen, heißt es vom Landesverband Bayerischer Kleingärtner. Gemüsefliegen tauchten durch den Klimawandel ebenfalls verstärkt auf.
Garten bedeutet auch "leben und leben lassen"
"Die meisten Kleingärtner nehmen es aber, wie es kommt", sagt Angelika Feiner, Beraterin beim Kleingärtner-Verband. Garten bedeute auch "leben und leben lassen". Man müsse nicht immer gleich die Chemiekeule rausholen. Manche Kleingartenanlagen, etwa in München, untersagten chemische Mittel komplett.
Auch die Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) sieht keinen Grund zur Besorgnis. Buchsbaumzünsler, Schnecken, Blattläuse und Gespinstmotten setzten den Gärten zu - aber die Lage sei nicht außergewöhnlich. Beim Erwerbsobstbau sei die eingeschleppte Kirschessigfliege ein Risiko und vom Apfelschorf, eine pilzverursachte Baumkrankheit, seien auch bisher resistente Sorten betroffen. Aber beides hänge nicht mit dem Klimawandel zusammen. Gegen die Essigfliege ließen sich Netze einsetzen. Zudem gäbe es gleichzeitig viele Nützlinge gegen Läuse wie etwa Fliegen.
Wesentlich kritischer sieht Ralf Petercord, Waldschutz-Mitarbeiter der LWF, die Lage. "Ich spreche langsam schon von einem Waldsterben durch Klimawandel", sagt Petercord. Das habe damit zu tun, dass einige Insekten besonders von der Wärme profitierten. Massenvermehrungen habe es zwar immer schon ab und zu gegeben, aber noch nie so oft und so lange anhaltend wie im Moment. Auch an manchen Orten ist das Problem neu: "So lange unsere Aufzeichnungen zurückführen, war der Schwammspinner noch nie in Gunzenhausen", sagt Petercord.

Globale Erwärmung fördert Insekten und schadet dem Wald
Die globale Erwärmung fördert die Insekten und schadet dem Wald demnach auf mehreren Wegen: Erstens seien viele Insekten wärmeliebend. Zweitens seien trockene Bäume geschwächt und könnten sich weniger gegen die Insekten wehren, sagt Petercord. Und drittens hätten Pilze es bei Trockenheit schwerer - die Hauptfeinde der Insekten. Die Insekten selbst bekämen meist genügend Flüssigkeit aus den Pflanzen.
Petercord spricht von einer "Top Fünf" der momentan schädlichen Insekten. Ganz klar sei der Borkenkäfer "das Megathema". Statt wie bisher zwei könne der Holzbrüter inzwischen in einem Sommer drei Generationen ausbilden. Die Fichten litten extrem. Aber auch Schwamm-, Eichenprozessions- und Kiefernspinner sowie die Schmetterlingsraupe Nonne breiteten sich aus. Zudem würden Feld- und Waldmaikäfer verstärkt auftreten. Die Waldmaikäfer hätten Richtung Hessen schon ganze Wälder vernichtet.
Pflanzenschutzmittel sollten zwar möglichst wenig eingesetzt werden, aber ganz ohne gehe es manchmal nicht, meint Petercord. "Die Klimaerwärmung wird uns wahrscheinlich zu mehr Pflanzenschutzmitteln zwingen." Denn wenn die Wälder erstmal kahl seien, sei eine Aufforstung noch schwieriger. Allerdings: Irgendwann werde es auch unseren Insekten zu warm. Dann könnten Arten aus anderen Ländern folgen, etwa aus Asien und Afrika. Und in dem Fall hilft aus Sicht des LWF-Mitarbeiters nur noch striktes Ausrotten.
Der Artenschutzreferent des Bund Naturschutz (BN), Kai Frobel, hält den Einsatz von Pestiziden für problematisch. Sie könnten meist wie beim gegen den Schwammspinner eingesetzten Pflanzenschutzmittel Mimic nicht selektiv eingesetzt werden. Alle Insekten würden unterschiedslos getötet. 700 Insektenarten seien aber auf die Eiche angewiesen. "Solange es noch keine Studie über die Folgewirkungen von Mimic gibt, ist das eine Blackbox, von der man besser die Finger lassen sollte", sagt Frobel.
91 von 96 Landkreisen in Bayern gelten als Risikogebiete
Auch Zecken, die in der Biologie als Spinnentiere gelten, profitieren von steigenden Temperaturen. Bayernweit verzeichnet das Landesamt für Gesundheit bereits 690 durch Zeckenbisse ausgelöste Borreliose-Fälle - zur gleichen Zeit des Vorjahres waren es 645. Bei dem ebenfalls von Zecken übertragenen Virus FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) gelten inzwischen 91 von 96 Landkreisen und kreisfreien Städten als Risikogebiete - praktisch ganz Bayern.
"Wir werden zunehmend mit hohen Populationsdichten von Insekten rechnen müssen", sagt Waldschutzexperte Petercord. Insekten, die aus anderen Gebieten zuwandern, könnten nun den Winter in Mitteleuropa überleben und sich etablieren und mögliche Krankheitserreger einschleppen. "Es wird neue Gleichgewichte und Anpassungsprozesse geben. Diese Umbruchphase erleben wir jetzt."
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