Pilotprojekt im Berchtesgadener Land: Die erste Klinik für Handysüchtige

Im bayerischen Bischofswiesen soll ein Pilotprojekt zeigen, wie man Betroffenen helfen kann. Die Charité Berlin ist beteiligt – und das sind die Pläne.
von  Kilian Pfeiffer
Im bayerischen Bischofswiesen soll ein Pilotprojekt zeigen, wie man Betroffenen von Handysucht helfen kann.
Im bayerischen Bischofswiesen soll ein Pilotprojekt zeigen, wie man Betroffenen von Handysucht helfen kann. © MandriaPix/Shutterstock.com

Bischofswiesen - Bundesweit einzigartig: Aus einem Modellprojekt in der Klinik Schönsicht in Bischofswiesen zum Thema Medienabhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen könnte ein offizieller Therapieplan für ganz Deutschland werden.

Klinik für Handysüchtige: Das gibt es in Deutschland bisher nicht

In Zusammenarbeit mit der Charité Berlin arbeitet ein Team rund um Klinikleiterin Iris Edenhofer an einem Pilotprojekt, in dessen Fokus junge Menschen stehen, die Medien und Internet auf mit problematische Weise nutzen.

Die bisherige Klinik Schönsicht am Oberkälberstein in Bischofswiesen.
Die bisherige Klinik Schönsicht am Oberkälberstein in Bischofswiesen. © Kilian Pfeiffer

Als der Berchtesgadener Unternehmer Bartl Wimmer die Klinik Schönsicht vor mehr als einem Jahr kaufte und große Erweiterungspläne ankündigte, waren es vor allem adipöse Kinder und Asthmatiker, die in der Einrichtung behandelt wurden.

Mittlerweile wurde das Spektrum deutlich erweitert. Mit der Ankündigung, dass aus der Klinik Schönsicht die erste Fachklinik für medienabhängige Kinder und Jugendliche werden soll, haben die Beteiligten einen Coup gelandet. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es in Deutschland noch nicht.

Die Rentenversicherer, die in der Klinik Schönsicht als Kostenträger zuständig sind, forderten nach dem Verkauf an Wimmer umfangreiche Investitionen: Das Haus ist in die Jahre gekommen und vor allem auf jugendliche Einzelpatienten ausgelegt. Nun sollen deutlich mehr Bleibe-Kapazitäten für Kind-Mutter-Vater-Aufenthalte geschaffen werden. Wimmer beabsichtigt, eine Millionensumme auszugeben.

Therapie von Medienabhängigkeit: Modellprojekt soll 2024 starten

Gemeinsam mit der Charité und der Knappschaft Bahn-See arbeitet ein Team an einem Konzept, das die Therapie von Medienabhängigkeit – als mittlerweile anerkannte Krankheit – deutschlandweit voranbringen könnte. Der Modellzeitraum ist für drei Jahre angesetzt und soll am 1. Januar 2024 starten und bis Ende 2027 laufen.

"Wir beginnen ganz am Anfang", sagt Edenhofer. Noch gibt es wenige Studien zur Medienabhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Fakt ist: Spätestens seit der Coronapandemie steigt der besorgniserregende Konsum von Internet, Smartphone und Computer tendenziell an. Definiert wird Medienabhängigkeit als die exzessive, problematische und unangemessene Nutzung von Medien, die als Konsequenz zu pathologischem und therapiebedürftigem Verhalten führen kann.

Schon zwei Stunden täglich am Smartphone können problematisch sein

Erik Kolfenbach ist Kinder- und Jugendpsychiater in der Klinik Schönsicht. Er sagt: "Jedes Grundschulkind hat mittlerweile ein Smartphone." Die sukzessiv gesteigerte Nutzung könne als Bewältigungsstrategie für Langeweile, Stress oder Einsamkeit negative Auswirkungen auf das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen haben.

Kolfenbach kennt Fälle von jungen Menschen, die mehr als zehn Stunden pro Tag am Smartphone hängen - vor allem zum Spielen, Streamen und für Soziale Medien wie TikTok und Instagram. Bereits zwei Stunden am Tag können zu einer Beeinträchtigung des Tagesablaufs des Kindes führen. "Das sollte von den Eltern gut mitbegleitet werden", sagt Erik Edenhofer.

Wie geht  es danach weiter? Abschlussbericht für Ende 2027 geplant

Während das kommende Jahr im Zeichen vorbereitender Maßnahmen steht, soll im zweiten Quartal 2025 eine Erprobungsphase starten. Bis zu 40 Jugendliche, bei denen bereits eine Form der Medienabhängigkeit diagnostiziert wurde, sollen bis zu zwölf Wochen stationär am Oberkälberstein aufgenommen werden. Dabei wird von Experten ermittelt, welche Therapiekonzepte notwendig sind, um die soziale Kontaktfähigkeit langfristig zu steigern und eine "lebenspraktische Stärkung zu ermöglichen", sagt Kolfenbach.

Ab dem zweiten Quartal 2026 soll die Durchführungsphase eingeläutet werden, in der die gewonnenen Erfahrungen im Praxisbetrieb zur Anwendung kommen. Bis dann, hofft die Klinikleiterin, soll der Neubau am Oberkälberstein auch stehen.

Ein Abschlussbericht Ende 2027 soll das Ergebnis liefern, ob eine Rehabilitation für Medienabhängigkeit nicht nur am Oberkälberstein, sondern in ganz Deutschland angeboten werden kann.

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