Peterchens Gau: Gauweiler verliert Wahl zum CSU-Vize
In diesem Moment zeigen selbst die stärksten Männer Gefühle. Horst Seehofer kann gerade noch eine Träne unterdrücken, als er Peter Gauweiler die Hand reicht. Ein feuchter Schleier hat sich auch über die sonst so funkelnden Augen des CSU-Rebellen gelegt. Wortlos schauen sich die beiden Unberechenbaren an. Eine Szene wie am offenen Grab.
„Auf dem Schlachtfeld gibt es gelegentlich Verletzungen“, hat Gauweiler tags zuvor noch seinen Ziehvater Franz Josef Strauß zitiert und den Ausgang seines Duells mit Verkehrsminister Peter Ramsauer um das Amt des CSU-Vizes für berechenbar gehalten. Jetzt ist er, Peter der Große, der hauchdünn Unterlegene. Derjenige, der seine Wunden lecken und seinem Bezwinger, den er für so schwach und ungeliebt gehalten hat, gratulieren muss. Vor ein paar Minuten hat Innenminister Joachim Herrmann, der die CSU-Vorstandswahl leitet, das Ergebnis verkündet: „Auf Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer entfallen 440 Stimmen.“ Mit blutleerem Gesicht sitzt der in der ersten Reihe.
„Jaawollll!“, ertönt hinter ihm ein befreiter Siegesschrei. „Auf Peter Gauweiler entfallen 419 Stimmen“, fährt Herrmann fort. Der sitzt versteinert hinten, rechts von der Mitte. „Mensch, geh in eine Sammelabstimmung“, hatte ihm sein Spezl Alfred Sauter geraten. In der wären die vier Vize-Posten unter den fünf Kandidaten in einem Wahlgang vergeben worden. Dran glauben müssen hätte derjenige mit den wenigsten Stimmen. Justizministerin Beate Merk wäre das gewesen, die bei ihrer Alleinkandidatur nur 63,2 Prozent bekam. Doch Peter, der Rebell, will sich nicht einfach auf einem todsicheren Weg hineinschleichen in die CSU-Spitze. Er brauchte den Nervenkitzel.
Das große Duell: Peter gegen Peter. Haushoch überlegen hat er sich gefühlt. Nach einer Welle der Euphorie, die er mit der Bekanntgabe seiner überraschenden Kandidatur vor vier Wochen ausgelöst hat. Nach seiner Rede zum Euro schien alles entschieden. Mit frenetischem Applaus feiert ihn die Partei. Während die Delegierten zum gemütlichen Abend übergehen, verlässt er das Feld, fährt lieber heim nach München. „Ein Gauweiler muss sich bei niemandem anbiedern“, sagt ein Vertrauter. Für „Ramses“, wie sie den Bundesverkehrsminister nennen, ist Gauweilers Abfahrt das Signal zum Einsatz seiner Truppen. Die marschieren mit voller Wucht auf. Fahnenträgerin ist Bundesagrarministerin Ilse Aigner, Chefin der CSU-Oberbayern.
Ramsauer, der Müllermeister aus Traunreut, ist ihr Mann. Verliert er gegen den Münchner Gauweiler, ist auch sie beschädigt. Hinter Aigner zeigt die Landesgruppe mit den CSU-Bundestagsabgeordneten, wie sie kämpfen kann. Zu ihr gehört eigentlich auch Gauweiler. Den aber mögen sie nicht. Denn sein Sitz in Berlin ist meist leer. Nur wenn es gegen etwas geht, ist er da. Lammfromm hat sich Gauweiler gegeben bei seiner Euro-Rede und auf das einstimmig verabschiedete Europa-Papier der CSU geschworen. Daraus drehen ihm die Ramsauer-Truppen nun eine Schlinge. „Warum hat er dann in Berlin dagegen gestimmt?“, bearbeiten sie die Delegierten. Die schärfste Waffe aber setzt der Verkehrsminister selber ein. Ramsauer umgarnt die Kommunalpolitiker bis weit nach Mitternacht mit ihren Straßen und Ortsumgehungen. „So viele Verkehrsprojekte wie in den letzten Wochen hat er noch nie zugesagt“, zischen die Gauweiler-Getreuen am Samstagmorgen.
Mit allen Mitteln wird gearbeitet. Sogar auf der Toilette. „I hob’ beim Biesln noch sieben Gauweiler-Fans umdraht“, meldet ein Helfer dem Feldherrn. „Danke, danke“, reicht Ramsauer erschöpft jedem seiner Helfer die Hand. „Wir haben eine Menge Straßenbauprojekte, da können wir unserem Verkehrsminister doch keinen Tritt geben, wenn er dann bei der Merkel antreten muss“, sagt Walter Taubeneder, Landtagsabgeordneter aus Niederbayern. „Gauweiler ist doch alles andere wichtiger als die Sacharbeit.“ Es hat also gewirkt. Gauweiler muss den nächtlichen Umschwung gespürt haben. „Ich habe keinen einzigen Kilometer zu vergeben“, sagt er bei der Vorstellung zur Kandidatur. Ramsauer spielt seinen Joker voll aus. Er kümmere sich im Freistaat um Projekte im Gesamtwert von fünf Milliarden Euro, preist er sich an. Und appelliert: „Jede Unterstützung für mich ist auch eine Unterstützung der bayerischen Belange.“ Bravo-Rufe erschallen und Riesenapplaus. Das seien doch nur ein paar Vereinzelte gewesen, die da drüben links außen extra laut geklatscht hätten, reden sich die Gauweiler-Fans den Sieg noch ein. Dabei hat sich die Stimmung über Nacht gedreht. „Er hat gewonnen, ich hab’ verloren.
Das ist das politische Spiel. Man nennt es Demokratie“, brummt Gauweiler, nachdem er sich wieder gefasst hat. „Ich muss dann halt den Weg gehen, den ich immer gegangen bin.“ Das will Seehofer nicht, dem sein eigenes Wahlergebnis – 89,9 Prozent – in den Knochen steckt. Die 90-Prozent-Hürde wollte er knacken. „Ein ritterlicher Kampf war das“, sagt er und überlegt, wie er den Verlierer künftig einbinden könnte. „Ich würde ja am liebsten sagen: Ändern wir die Satzung, damit wir fünf Stellvertreter haben.“ In den nächsten Wochen wolle er sich bemühen, dass Gauweiler in „einer anderen Funktion für die Arbeit der CSU zur Verfügung“ stehe. Ein Rettungsschirm für den Rebellen.