Passauer Studenten sammeln 36.000 Stimmen gegen umstrittenes Donaulied

Passau - Man stelle sich folgende Meldung in einem Onlineportal vor: Ein Mädchen schläft auf einer Kiesbank am Fluß. Ein Spaziergänger kommt vorbei und bedient sich, weil er's kann. Dann lässt er sie liegen - und sich über die Aktion aus: Sicher sei der Überfall für sie so schön gewesen wie für ihn. Weiteren Flaneuren rät er allerdings vom Augenkontakt mit Sandbankschläferinnen ab, denn sonst werde der Mann zum Mann, da könne man nix machen.
Heute endet eine Petition, die eben dies zum Thema hat: die Glorifizierung der öffentlichen Vergewaltigung einer schlafenden, vermutlich noch nicht einmal volljährigen Frau.
Seit dem 16. Mai 2020 hat eine Initiative an Passauer Studenten Stimmen gegen die Verbreitung des sogenannten "Donauliedes" gesammelt, das gern in Bierzelten und auf Volksfesten gegrölt wird. Heute geht sie zu Ende.

"Das Donaulied hebt sich durch seine frauenverachtenden, gewaltverherrlichenden Textvarianten ab", sagt die Initiatorin Corinna Schütz im AZ-Gespräch. Inzwischen haben sich rund 25 Passauer Schüler und Studenten zwischen 17 und 28 Jahren ihrer Initiative gegen Bierzeltsexismus angeschlossen.
Ihr Ziel waren 1.800 Unterschriften, um eine Aufführung auf der Passauer Dult zu verhindern: "Der Text verhöhnt Frauen und Opfer sexueller Gewalt", meint Schütz, "man sollte das nicht mehr auf öffentlichen Veranstaltungen hören müssen."
Doch dann kommt es anders: Ihre Initiative geht viral - und zwar bundesweit. 30 Mails gehen noch am ersten Tag ein. Einmal erreicht die Petition 8.000 Unterschriften binnen 24 Stunden. "Doch auch da habe ich noch nicht realisiert, dass wir einen Nerv getroffen hatten", sagt Schütz.
Weltweit haben bis heute 36.200 Menschen unterschrieben - mehr als 20 Mal so viele wie erhofft.

Initiatorin Schütz: "Engagement kann cool sein"
Motiviert hat Corinna Schütz - eine Initiative von zwei Männern. Durch die Aktion "Männerwelten" von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, moderiert von der Feministin, politischen Influencerin und Buchautorin Sophie Passmann ("Alte weiße Männer"), ausgestrahlt zur besten Sendezeit im Massenprogramm von ProSieben, habe sie gemerkt, "dass es keine Nischenmeinung mehr ist, sich für Gleichberechtigung einzusetzen, dass Engagement auch cool sein und etwas bewegen kann".
Tatsächlich ist die Bierzelt-Hymne mehr als eindeutig: Im Liedtext wird klargestellt, dass es sich um ein sehr junges Mädchen gehandelt haben muss ("im weißen Gewand") und sich der Täter nicht die Mühe gemacht hat, sie aufzuwecken, um sie möglicherweise doch erst verbal von seiner Manneskraft zu überzeugen ("Ich machte mich über die Schlafende her") - als sie wach wird, ist seine Sache bereits erledigt ("Und als nun das Mädchen vom Schlafe erwacht/Da war ja das Opfer der Liebe vollbracht").

"Der Beitrag von Joko und Klaas hat dem Thema eine Berechtigung gegeben, auf der wir aufbauen konnten", meint Corinna Schütz. "Uns haben so viele Geschichten erreicht, die nicht mehr passieren dürften."
Unterwegs hat Corinna Schütz auch Gegenwind bekommen. "Ganz ehrlich?", fragt eine 26-jährige Passauerin im AZ-Gespräch. "Wenn ich bei dem Lied anfange, kann ich bei vielen anderen Volksfestliedern weitermachen." Sie sieht die Initiative kritisch: "Durch diese Petition wird das Lied doch bloß extrem gepuscht und definitiv noch weiter verbreitet! Ich find' das unnötig."
"Ältere Leute stört die Initiative"
"So wie ich das sehe, stören sich eher ältere Leute an der Initiative", sagt ein 28-jähriger Passauer zur AZ, "Die finden, das wäre 'Kulturgut', alles halb so wild. Ein lustiges Lied halt." Er selbst sehe den Text aber auch kritisch: "Für ein Verbot des Liedes bin ich nicht - aber definitiv für eine Änderung der Strophen!"

Stören sich vor allem jüngere Leute an den derben Zeilen? Eine am Samstagabend gegen 17.30 Uhr von Passau aus gestartete Umfrage auf der App "Jodl", die ganz überwiegend von Leuten unter 30 genutzt wird, zum Thema "Was haltet Ihr vom Donaulied?" ergibt ein nicht repräsentatives, aber klares Bild: Binnen zwei Stunden beteiligen sich über 100 Leute, am Sonntagmorgen, nach nur einer Nacht, sind bereits über 200 Meinungen eingegangen.
"Diese Vergewaltigungszeilen sind schon komisch"
Über 45 Prozent der Stimmen finden, das Lied gehöre verboten (22 Prozent) oder der Text geändert (23 Prozent). Nur ein Fünftel meint, es könne so bleiben - und einem Drittel (33 Prozent) ist die Sache wumpe. Ein Nutzer kommentiert: "Ich kannte das Lied nicht - aber diese Vergewaltigungszeilen sind schon ziemlich komisch!", einer meint: "Zieht doch in 'ne Gummiblase!" - und einer antwortet ihm: "Die freudige Beschreibung einer Vergewaltigung erschüttert Deine Welt nicht?!"

Sicher ist: Das politische Anliegen der Studenten hat den regionalen Rahmen bereits verlassen. Auch in Regensburg und Straubing gründeten sich Initiativen, mit schnellem Erfolg: In Regensburg ist das Lied bereits auf Dulten verboten. In Montabaur nimmt eine eine Stadträtin die Aktion zum Anlass, das Thema Sexismus auf Volksfesten und insbesondere das Donaulied in den Stadtrat einzubringen. Sie erreicht die vertragliche Verpflichtung der Festwirte des lokalen Volksfestes, auf das Lied zu verzichten. Bayerns Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) ist ebenso auf Seite der Passauer Studenten wie Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag.
Am kommenden Dienstag (18. August) überreichen Corinna Schütz und ihre Mitstreiter dem Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) die Petition.
"36.000 Menschen wünschen sich den Austausch über Bierzelt-Sexismus"
Mit Hilfe der Antidiskriminierungsstelle sollen dann überregionale Konzepte gegen Sexismus im Bierzelt erarbeitet werden. Die weiteren Pläne der Passauer?
"Wir haben die Wirtschaftsreferate der größten süddeutschen Volksfeststädte angeschrieben und nach deren Guidelines zur Sexismusprävention und zum Schutz von Frauen gefragt." Einige Städte hätten schon "gute Konzepte", andere hätten bisher keinen Handlungsbedarf gesehen, aber ihre Offenheit für Vorschläge signalisiert. Dafür möchte die Passauer Bewegung in der Zukunft ein Forum bieten - denn: "36.000 Menschen wünschen sich diesen Austausch".
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