"Papa soll für immer ins Gefängnis"
Daniel L. (22) ist der Sohn von Bayerns schlimmstem Sextäter Bernhard S., der ganz Deutschland in Atem hielt. In der AZ erzählt er, wie er mit dem Schock und der Schande lebt. Teil 2 des Interviews (Lesen Sie hier Teil 1)
MÜNCHEN/NÜRNBERG „Ich bin so aufgeregt”, gesteht Daniel L. der AZ, kurz bevor die Ausgabe in den Druck geht. Kein Wunder. Schließlich hat er darin zum ersten Mal im Leben öffentlich über das Thema gesprochen, das ihn am meisten beschäftigt und bedrückt: Über seinen mehrfach vorbestraften Vater Bernhard S.: Der hielt vor ein paar Monaten Deutschland in Atem. Er verschleppte und vergewaltigte zwei Frauen und sitzt jetzt wieder im Gefängnis. In dem Betrieb, in dem Daniel L. arbeitet, sprachen am Mittwoch alle über das Interview vom Vortag. „Respekt vor dem Sohn”, sagen sie. Ohne zu wissen, dass er direkt neben ihnen sitzt.
AZ: Daniel, wer weiß alles, dass Sie der Sohn von Bernhard S. sind?
Nur sehr wenige. Meine Freundin und deren Familie, meine Mutter und meine engsten Freunde. Das war’s. Auf meiner damaligen Arbeitsstelle haben mal welche vermutet, dass er mein Vater ist. Das war ein blöder Zufall, weil ich einen anderen Nachnamen als er habe. Die haben dann sein Fahndungsfoto auf den Bildschirmhintergrund meines PCs geladen. Es gibt halt schon Arschlöcher. Da noch ruhig zu bleiben, fiel mir schwer.
Ist das auch der Grund, warum Sie sich nicht von vorne fotografieren lassen wollten?
Ja, ich habe einfach keine Lust auf blöde Sprüche. Und ich will auch nicht, dass meine Freundin Probleme bekommt.
Wie erklären Sie sich die Taten Ihres Vaters?
Er ist krank. Mir wurde berichtet, dass er am U-Bahnhof Langwasser-Süd im Auto wartete. Da sind immer wieder Frauen vorbeigelaufen. Und er hat dann diesen Drang gehabt. Die da soll es sein – oder die nächste. Er hat sich eine Zeit lang zurückhalten können, aber dann ist sein Körper einfach stärker gewesen. Er kann es nicht steuern. Er will es nicht. Aber es passiert trotzdem.
Meinen Sie, dass er auch heute wieder rückfällig werden würde?
Ich weiß nicht, was in Papa vorgeht. Aber wahrscheinlich schon. Vielleicht nicht gleich, aber ein paar Monate später.
Er soll also lieber für immer im Gefängnis bleiben?
Ja, das sollte er. Schade, dass man so etwas sagen muss.
Das „böse Gen” – nur dummes Gerede oder haben Sie Angst davor?
Ich glaube nicht, dass so etwas vererbt wird.
War Ihr Vater eigentlich ein Waffennarr?
Überhaupt nicht.
Bei seinen Taten bedrohte er die Opfer mit einer Softairpistole. Haben Sie so etwas mal bei ihm gesehen?
Einmal holte er mich ab, weil wir ins Möbelhaus wollten, und da sah ich durchs Autofenster, wie er das Handschuhfach schloss. Da habe ich so etwas wie eine Waffe gesehen, nur den hinteren Teil. Das habe ich der Polizei gemeldet.
Und?
Das blieb offenbar ohne Konsequenzen.
Wie bitte?
Als ich ihn im Oktober 2010 nicht mehr erreichte, wollte ich auch eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben. Die haben mir gesagt: Ja, der ist ein erwachsener Mann, es wird schon alles in Ordnung sein. Und dann habe ich gesagt: Naja, Sie wissen schon, was er alles gemacht hat in der Vergangenheit. Die Antwort: Der wird so was schon nicht mehr machen.
Ein fataler Irrtum: Er überfiel brutal zwei Frauen. War er vorher auch mal Ihnen gegenüber gewalttätig?
Nein, er hat uns nie etwas getan. Nicht mir und nicht meiner Mutter. Er war zu uns immer nett, lustig. Egal, was man gesagt hat, er hatte immer einen Witz auf Lager. Wenn ich Stress in der Schule hatte, hat er sich mit mir hingesetzt und gesagt: Komm, Daniel, wir finden schon eine Lösung. Er hat eigentlich immer anderen Leuten geholfen. Nur selbst hat er sich nicht helfen lassen. Er wollte immer alles selber schaffen, was nicht klappte. Er hätte ja auch zur Polizei gehen und sagen können: Ich brauche Hilfe, ich fühle, dass ich so etwas wieder machen könnte! Da wäre keiner böse gewesen. Im Gegenteil: Dann hätten die Leute gesagt: Wow, der hat sich helfen lassen. Das verstehe ich einfach nicht.
Vermissen Sie Ihren Vater?
Ja, sehr.
Gibt es Tage, an denen Sie nicht an ihn denken?
Immer wenn ich in meine Küche gehe, muss ich automatisch an ihn denken. Ich weiß noch, wie wir die Dunstabzugshaube zusammen angebracht haben. Die war so richtig schräg.
Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?
Vor zwei Wochen in der JVA Würzburg, das erste Mal seit seiner Verhaftung.
Warum nicht früher?
Ich musste einen Beschluss beim Gericht beantragen, drei Richter mussten zustimmen, das war sehr langwierig.
Wie lief das Treffen?
Es war sehr, sehr komisch, ihn da zu sehen. Meine Freundin war dabei, um mich zu unterstützen. Er hat bestimmt gedacht, dass ich ihn fertigmachen will. Und dann hat er mich gesehen. Ich habe ihn angelacht und gewunken. Dann hat er seine Brille abgenommen und erstmal geweint.
Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?
Über mich. Beruf, Freunde, Freundin und so. Er ist froh, dass ich meine Arbeit noch habe, hat Angst, dass ich durch ihn Nachteile erleide.
Wie geht es ihm?
Richtig dreckig. Er hat sich aber damit abgefunden, dass er nie mehr rauskommt. Der lebt jetzt halt noch so dahin, und irgendwann ist es dann zu Ende.
Ihr Vater ist ja erst 49.
Die Ärzte meinen, dass er nicht so alt wird. Auch wegen seines Übergewichts. Und da drin macht er auch nicht viel.
Wofür hat er sich draußen eigentlich interessiert?
Für Geografie und Geschichte, Nürnberg früher und heute. Er war auch öfter im Stadtarchiv und hat recherchiert. Das hat ihn fasziniert. Er ist auch immer gerne Fahrrad gefahren. Wir wollten mal weit weg fahren, 50 Kilometer hin, 50 Kilometer zurück. Das haben wir aber nie geschafft.
Waren Sie lange bei ihm im Gefängnis?
30 Minuten, länger durfte ich nicht. Er war geschockt, dass es so schnell ging.
Und der Abschied?
Ich wollte ihn umarmen, aber er hat es nicht wirklich angenommen. Nur ganz kurz den Arm um mich gelegt. Vielleicht habe ich ihn damit überrumpelt. Er hat mir erzählt, dass er von seinem Fenster den Parkplatz sehen kann. Ich habe ihm gesagt: Wenn ich unten stehe, winke ich. Ich habe ihn leider nicht gesehen, weil sich die Sonne im Fenster spiegelte. Aber ich weiß, dass er mich gesehen hat. Ihn da alleine zurückzulassen und nicht mitnehmen zu können, das war heftig. Da musste ich mich schon zusammenreißen. Als ich außerhalb seiner Sichtweite war, sind mir dann doch die Tränen gekommen.
Werden Sie ihn wiedersehen?
Ja, zwei Mal im Monat für 30 Minuten ist das möglich. Ich will für ihn da sein, weil er auch immer für mich da war. Mein Vater hat sogar in der JVA gefragt, ob er was von seinem Taschengeld abgeben kann, fürs Bayernticket. Das nehme ich natürlich nicht an. Vor meinem Besuch hat er auch eine Tafel Schokolade gekauft, die er aber nicht mit in den Besucherraum bringen durfte. Ich hab’ ihn gefragt: Warum wolltest du die überhaupt mitnehmen? Er meinte dann: Ich dachte, wir hätten die zusammen essen können.
Interview: Timo Lokoschat
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