Ost-Wahlanalyse aus bayerischen Bierzelten

Mal wieder steht der Gillamoos im Zeichen von Wahlen, heuer geht es um die im Osten. Die Bierzeltredner blicken nach Brandenburg und Sachsen - und damit direkt auf die schwer angeschlagene große Koalition im Bund.
von  dpa
Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos. Foto: Christoph Soeder/Archivbild
Kevin Kühnert (SPD), Bundesvorsitzender der Jusos. Foto: Christoph Soeder/Archivbild © dpa

Abensberg (dpa/lby) - Einen besseren Zeitpunkt als in diesem Jahr hätte es für den Gillamoos kaum geben können: Nur rund 15 Stunden nach dem Schließen der Wahllokale in Sachsen und Brandenburg hält das niederbayerische Volksfest am nächsten Montag (2.9.) Wahlanalysen der besonderen Art parat - selbstverständlich bei jeder Menge Bier und Blasmusik. Als reiche dies nicht aus, liefert auch die SPD jede Menge Gesprächsstoff: Bei den Genossen endet immerhin am Sonntag die Frist für Bewerbungen um die vakanten Parteichefposten.

Wie im Vorjahr gehört CSU-Chef Markus Söder auch 2019 zu den wichtigsten Rednern. Trat er 2018 noch selbst als Wahlkämpfer ans Mikrofon, kann er es heuer vergleichsweise entspannt angehen. Söder hat seine Landtagswahlen hinter sich und wenn es nach ihm geht, soll es möglichst auch keine vorgezogene Bundestagswahl wegen einer gescheiterten großen Koalition geben. Spannung verspricht auch Söders jüngster politischer Wandel hin zu mehr grünen Themen wie Klima- und Artenschutz. Erfahrungsgemäß kamen solche Themen in den vergangenen Jahren bei den Zuhörern im CSU-Zelt nicht so gut an.

Dies dürfte der Hauptredner im benachbarten SPD-Zelt völlig anders sehen: Juso-Bundeschef Kevin Kühnert macht seit Jahren keinen Hehl aus seiner Ablehnung der GroKo im Bund und sieht in ihrer Politik einen der Hauptgründe für die schwierige Lage der SPD. Nicht nur in der Partei hatten viele deshalb auch damit gerechnet, dass Kühnert seinen Hut auch bei der Wahl des neuen Parteichefs in den Ring werfen würde, doch das hat er zumindest bislang noch nicht getan. Wie dem auch sei - Kühnert ist als rhetorisch extrem begabter Redner sicher eine gute Wahl für die Bierzeltrede, bei der es traditionell in erster Linie um scharfe Attacken gegen den politischen Gegner und derbe Sprüche geht. Blamieren will sich hier keiner.

Während die SPD trotz aller Probleme beim Gillamoos praktisch von jeher gesetzt ist, feiert die Linke in diesem Jahr auf der Festwiese ihre Gillamoos-Premiere. Bisher hatte sie auf eine Teilnahme am politischen Schlagabtausch verzichtet. Hauptredner ist niemand geringeres als Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Er wird seine Rede neben einer Analyse des Ausgangs von Sachsen und Brandenburg wohl vor allem dazu nutzen, um für seine eigene Landtagswahl am 27. Oktober zu werben. Zuletzt lag die Linke in Umfragen wieder aussichtsreich auf dem ersten Platz, gefolgt von AfD und CDU.

Auch die bundesweit seit Monaten auf einer Erfolgswelle surfenden Grünen sind in Abensberg natürlich am Start: Für sie reist unter anderem Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter an, um die Ostwahlen für seine Partei zum Erfolg zu erklären. Immerhin dürften die Grünen zu den gefragtesten Koalitionspartnern zählen - angesichts der Zersplitterung der politischen Landschaft zwischen Links und Rechts dürfte eine Regierungsbildung ohne die Grünen sehr schwer werden.

Selbst die Freien Wähler - außerhalb Bayerns ohne jegliche politische Bedeutung - könnten sich nach dem Wahlwochenende plötzlich in einem weiteren Parlament wiederfinden. Umfragen sehen die FW gemeinsam mit den "Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen" im Landtag in Potsdam. FW-Chef Hubert Aiwanger - der seine Partei in einigen Jahren auch auf bundespolitischer Bühne erfolgreich etablieren will - dürfte dies als Bestätigung seiner Politik sehen, auch wenn in der Praxis eine Sonderregelung im Wahlrecht der Grund für den Einzug wäre.

Auch wenn die AfD in diesem Jahr ihren angestammten Platz in der Abensberger Burgruine der Linken überlassen muss, werden die Rechtspopulisten keine Gelegenheit verstreichen lassen, ihre Sicht auf die Wahlen kundzutun. Lange Zeit hatte die Partei sich Hoffnung machen können, aus den Wahlen in mindestens einem Land als stärkste Kraft hervorzugehen - die jüngsten Umfragen sahen die Partei aber wieder hinter CDU (Sachsen) oder SPD (Brandenburg).

Der Gillamoos ist einer ältesten Jahrmärkte in Niederbayern, immer rund um das erste Septemberwochenende. Am letzten Tag des fünftägigen Festes treten traditionell Spitzenpolitiker parallel in Bierzelten auf, die nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. Nach dem politischen Aschermittwoch ist dies das größte Politikspektakel in Niederbayern. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Gillamoos 1313. Mehr als 250 000 Besucher strömen jedes Jahr auf das Volksfest.

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