Ohne Auto auf dem Land: In Bayern Mensch zweiter Klasse

Vielerorts in Bayern sind Menschen ohne Auto vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Während etwa in Baden-Württemberg das ÖPNV-Angebot immer besser wird, hapert es in Bayern mancherorts am Wochenende – und die Situation könnte sich bald noch verschlechtern.
von  Tobias Lill
Busstation auf dem Land. Foto: dpa
Busstation auf dem Land. Foto: dpa © imago/photothek

Es galt als Musterbeispiel für den Öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum: Das von einem lokalen Start-up entwickelte Rufbus-System Omobi im oberbayerischen Murnau hat eine Vielzahl von Preisen eingefahren.

Im Rahmen des vom Sommer 2020 bis Ende Juni dieses Jahres laufenden Projekts konnten sich die Fahrgäste ihren Ortsbus für die konkrete Strecke per Telefon oder Handy-App buchen. Die Fahrtwünsche wurden dann gebündelt und die Route der dunklen Kleinbusse entsprechend erstellt. Das Angebot schuf für Kunden Flexibilität, leere Busse wurden vermieden.

Bürgermeister lehnt flexibles Rufbus-System Omobi ab

Doch trotz ihres Erfolgs kurven seit Ende Juni keinerlei Busse mehr durch Murnau. Im Dauerstreit mit Bürgermeister Rolf Beuting (ÖDP) hatte es der Marktgemeinderat der Kommune abgelehnt, den Vertrag mit Omobi zu verlängern. Und ein Linienbus-System als Ersatz ließ sich nicht von heute auf morgen auf die Beine stellen.

Zwar stimmte am Sonntag eine überwältigende Mehrheit der Murnauer bei einem Bürgerbegehren für den Erhalt des Systems - dennoch wird es noch dauern, bis in dem Alpenparadies wieder die ersten Omobi-Busse fahren.

"Fast nur Schülerverkehr": Dem ÖPNV in Bayern geht es schlecht

Murnau ist kein Einzelfall. In ländlichen Regionen des Freistaats steht es vielerorts schlecht um den ÖPNV. "Das Busangebot in der Fläche besteht oft fast nur aus Schülerverkehr", sagt Thomas Mager vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) der AZ.

Gerade am Wochenende oder in den Ferien fahre auf dem Land in Bayern oft fast gar nichts. Da tuckerten mitunter nur ein, zwei Busse am Tag durch den Landkreis. Besonders katastrophal ist die Situation in Ostbayern.

ÖPNV in Bayern: "Situation auf dem flachen Land noch weiter verschärft"

Gleich fünf bayerische Landkreise schnitten bei einer Verkehrsstudie Ende 2021 in puncto Erreichbarkeit von Bus und Bahn im Deutschland-Vergleich am schlechtesten ab. Mit großem Rückstand war Dingolfing-Landau Schlusslicht bei dem Ranking. In dem niederbayerischen Landkreis ist ein riesiges BMW-Werk beheimatet. Doch auch in Straubing-Bogen, Cham, Rottal-Inn und Kronach sind Menschen ohne eigenes Auto de facto Bürger zweiter Klasse. Sie sind vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen.

"Zuletzt hat sich die Situation auf dem flachen Land noch weiter verschärft", sagt Mager. Ursachen seien etwa der Personalmangel und knappe Mittel des Freistaats. Unter anderem muss Bayern einen Teil der Kosten für das 49-Euro-Ticket tragen.

Paradebeispiel: In Baden-Württemberg läuft der ÖPNV

Die Taktdichte in Ballungsräumen wie München sei dagegen verbessert worden. Die Landeshauptstadt nahm selbst kräftig Geld in die Hand. Weit besser als in Bayern läuft es Mager zufolge im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. Dort gibt es beim Zugverkehr oft einen Halbstundentakt und auf dem flachen Land einen Stundentakt. Aufgrund von Subventionen des Landes würden dort viele Landkreise in der Diaspora ein Schnellbus-Netz im Stundentakt anbieten.

Für Bayern hat Mager dagegen eine düstere Prognose: "Ich rechne damit, dass das Busangebot in ländlichen Räumen wegen der Kassenlage sogar noch weiter eingeschränkt wird." Tatsächlich fürchten angesichts der schwierigen Haushaltslage viele Rathauschefs, dass sie schon bald die eine oder andere Busverbindung kappen oder zumindest einschränken müssen.

Schwierigkeiten mit der Finanzierung des ÖPNV durch hohe Energiepreise

Heuer werde bundesweit mit einem Defizit von 6,4 Milliarden Euro und für 2024 mit einem Minus von zehn Milliarden Euro bei den Kommunen gerechnet, sagt eine Sprecherin des Deutschen Städte- und Gemeindebundes der AZ. Während Steuereinnahmen wegbrechen, explodieren im Bereich Nahverkehr die Kosten – allein zwischen 2017 und 2021 um über ein Drittel. Im vergangenen Jahr hat sich der Trend aufgrund der extrem hohen Energiepreise noch einmal beschleunigt.

"Vielerorts stehen die Kommunen jetzt vor der Frage, wie die örtlichen ÖPNV-Angebote angesichts der Kostensteigerungen noch aufrechterhalten werden können", sagt die Sprecherin. Aus Sicht des Städte- und Gemeindebundes ist es "besonders problematisch, dass sich der Bund bislang nur für das Jahr 2023 verpflichtet hat, alle mit dem Deutschlandticket verbundenen Kosten auszugleichen". Diese Garantie müsse auch künftig gelten. Ansonsten droht ein noch weiter ausgedünntes Angebot.

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