"Oh Gott, ich hoffe, es bleibt stehen"
Reporter Hubert Denk versinkt in Passau mit seinem Auto in der Flut. Er kann sich gerade noch retten. In der Stadt herrscht Ausnahmezustand.
Passau - In Passau herrscht blankes Entsetzen. Egal, wie routiniert die Passauer im Umgang mit den Fluten bisher gewesen sein mögen – diese Katastrophe sprengt alle Dimensionen.
Das Jahrhunderthochwasser von 2002? Die Flut von 1954? Vergessen. In der Dreiflüssestadt steht das Wasser so hoch wie seit 1501 nicht mehr. Und es steigt weiter.
„Mein Haus ist Baujahr 1870, und es war noch nie überflutet“, sagt der Journalisten Hubert Denk. „Und jetzt habe ich einen überfluteten Keller und den Fluss vorm Fenster. Wenn der Pegel weiter steigt, drückt’s das Wasser hier durch die Bodenbretter.“
Seine Stimme überschlägt sich beim Reden. Er hat eine katastrophale Nacht hinter sich. „Ich habe drei Stunden geschlafen.“
Umweg von 40 Kilometern
Rückblick: Gegen 19.30 Uhr, Denk hat gerade die letzten Fotos aus dem Hochwassergebiet an die AZ gemailt, ruft ihn ein befreundeter Bäcker an: „Du hast doch einen Geländewagen“, fragt der. „Kannst Du für mich 500 Semmeln zur Werksfeuerwehr der Firma ZF nach Grubweg fahren?“
Auch dort hatten die Feuerwehrleute Tag und Nacht geschuftet im Kampf gegen die Fluten. Denk macht sich auf, verschenkt unterwegs Semmeln an Polizisten und Feuerwehrleute am Wegesrand.
Einen Umweg von 40 Kilometern muss er nehmen, weil die Flüsse Donau, Inn und Ilz ihre Furchen tief in die Stadt geschlagen haben.
Auf dem Rückweg sammelt er seinen Praktikanten und einen Bekannten auf. Nahe der Fußgängerzone will Denk – wie schon auf dem Hinweg – gegen 23 Uhr eine zunächst leicht überflutete Stelle am Unteren Sand passieren. Vor wenigen Stunden war er hier noch durchgefahren. Sicherheitshalber fragt er noch einen Polizisten, ob er mit dem Auto durchkommt. „Mit dem ja“, ist die Antwort.
Der Wagen läuft rasend schnell voll
Denk fährt los, gibt vorsichtig Gas – und versinkt bis zur Scheibe. „Im Auto wurde es schlagartig still und dunkel“, sagt Denk. „Der Wagen lief rasend schnell bis zu unseren Oberschenkeln voll. Mit Mühe sind wir durchs Fenster aufs Dach geklettert.“
Studenten reichen den Gestrandeten Decken und Tee aus dem Fenster eines Hauses. Erst nach einer Stunde kommt Hilfe. An Holzpaletten geklammert retten sich die drei aufs Trockene.
Inzwischen ist Denk wieder daheim – aber dort nun von den Fluten eingeschlossen. „Hallo“, ruft es plötzlich während des Gesprächs im Hintergrund. Mitarbeiter der Wasserwacht sind mit dem Boot direkt an Denks Bürofenster gefahren. „Wohnt hier noch eine ältere Frau? Wir suchen eine Dame, zwischen 70 und 80?“ Denk kann ihnen nicht weiterhelfen. „Wahnsinn, das gibt’s alles nicht“, sagt er erschöpft.
So wie ihm geht es vielen tausend Menschen in Passau. In der Altstadt musste der Strom abgestellt werden, weil sich in der Fußgängerzone inzwischen Donau und Inn getroffen und alles überflutet haben.
Die Trinkwasser-Versorgung ist unterbrochen
Die Stadtwerke Passau haben die Trinkwasser-Versorgung eingestellt: Das Hochwasser könnte die Brunnen verschmutzen. Ein Krisenstab arbeitet mit Hochdruck an einer Lösung.
Günther Loibl lehnt müde und erschöpft an der Hauswand. Seit Stunden droht der 45-Jährige, den Kampf um seine Gaststätte, sein Lebenswerk, zu verlieren. „Toiletten und Kühlraum sind schon überschwemmt“, sagt der Gastwirt. „Es fehlen nur noch wenige Zentimeter bis zum Schankraum.“
Die Feuerwehr pumpt und pumpt – insgesamt 600 Einsatzkräfte und 120 Bundeswehrsoldaten sind in Passau im Einsatz. „Was die hier leisten, ist brutal“, sagt Loibl. „Die versuchen, jeden Zentimeter zu retten.“
In vielen anderen Fällen sind die Helfer aber auch machtlos: Mehrere Geschäfte in der Innenstadt musste die Feuerwehr aufgeben, weil die Schaufensterscheiben unter dem Druck des Wassers zerborsten sind.
Der Zusammenhalt ist groß
Mit 22 Booten sind die Hilfskräfte unterwegs. Die Bundeswehr sei zu spät gekommen, klagen Feuerwehrleute. Doch der Zusammenhalt ist groß: Anwohner schmieren Brote und kochen Kaffee für die Helfer. Edmund Griegel, der Leiter des Jugendzentrums, schleppt die Möbel des benachbarten Kinderhorts in seine trockenen Räume. Die Stadt bereitet derweil Notunterkünfte vor.
„Wir geben das Haus noch nicht auf“, sagt Denk. „Wir haben Mineralwasser und Nudeln.“ Immer wieder geht sein Blick nach draußen. „Das Wasser steht genau 20 Zentimeter unterhalb des Fensters“, sagt er. „Glaubst Du, das bleibt stehen? Oh Gott, ich hoffe, es bleibt stehen.“
Gegen 14 Uhr ist klar: Bleibt es nicht. Hubert Denk muss evakuiert werden. Er wird die Nacht im Umland verbringen. Vom Kloster Mariahilf aus, wo die Gläubigen für das Ende der Katastrophe beten, macht er noch ein Foto der Stadt. In Passau steigt der Pegel der Donau auf 12,50 Meter. Es ist der zweithöchste jemals gemessene Wert.
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