Offene Scherztherapie

Die Ärzte aus Berlin plumpsten beim Nürnberg-Konzert vor 8500 Fans in der intimen Arena-Atmosphäre in Stimmungslöcher
von  Abendzeitung
Da kann das Schlagzeug noch so glänzen: Strahlend war der Nürnberg-Abstecher der „Ärzte“ nicht.
Da kann das Schlagzeug noch so glänzen: Strahlend war der Nürnberg-Abstecher der „Ärzte“ nicht. © Berny Meyer

Nürnberg - Die Ärzte aus Berlin plumpsten beim Nürnberg-Konzert vor 8500 Fans in der intimen Arena-Atmosphäre in Stimmungslöcher

Verflixt und zugenäht, diese Operation am offenen Lachsack trug am Ende des Abends doch Anzeichen von Kunstfehlern: Die Ärzte, Berlins „beste Band der Welt“, die mal Punk waren und jetzt eine Bank sind, auf jeden Fall auf dem Zenith ihrer Breitenwirkung, verwalteten in der Gemeinschaftspraxis der ausverkauften Nürnberger Arena ihren Plauderwitz, wo sich die Pubertät zur Lebenshaltung manifestierte. In der intimen Atmosphäre von 8500 Fans funktionierte das nur bedingt. Songs und Stimmung plumpsten immer wieder in Luftlöcher. „Erinnert uns daran, dass wir noch leben!“, rief Sänger Farin Urlaub ironisch in die Menge. Da halfen auch die frühzeitig eingeforderten Mitgröl-Spiele und La-Ola-Choreographien wenig. Aber es gab ja noch das „Lied vom Scheitern“.

Am Ende des ersten Zugabenblocks auf diesem „Jäzzfäst“ (Tour und Album, man liest’s mannsgroß Schwarz auf Weiß, heißen „Jazz ist anders“) tauchte „Junge“ auf, das lästige und lustige Lied, wo es um Löcher in der Nase, Rock-Lärm und verpasste Uni-Karrieren geht. Da nicken Papa und Sohn gleichzeitig, wenn die zur Schau getragene Generations-Kumpanei so stichhaltig durchs Sprachrohr der ewigen Jugend geblasen wird. Widerstand ist zwecklos.

Generationsdenken als Generator bestimmen zunehmend das Weltbild von Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzalez, die als kleine Strolche unterwegs sind zwischen Agonie und Aggression, Liebesschmerz und Selbstbewusstsein. Mit dieser Scherztherapie singen Die Ärzte ihren Kassenpatienten immer noch aus dem Herzen, ob’s nun um die keineswegs pflegeleichte Freundin des Freundes geht, den ganz normalen Nachbarschafts-Stress („Lasse redn“) oder den Selbstbetrug einer himmelblauen Zukunft. „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“, singen sie und riskieren damit einen Haltungsschaden. Wer will schon gute Ratschläge? 30 Songs schicken „Tick, Trick und Track“ durch den Durchlauferhitzer, lassen das Radio brennen und das Geisterhaus leuchten und amüsieren sich über Nürnberg, diese „merkwürdige Stadt“, wo für „Mister Lady“ geworben wird. Hip-hip-hurra, alles ist wunderbar.

Halbspötter in Weiß. In alter Frische, in ziemlich alter. Vielleicht hätten Die Ärzte einfach die „Economy“-Fassung von „Jazz ist anders“ einstreuen sollen (die Billig-CD gibt’s als Anarcho-Souvenir), wo die Sinnfreiheit zum reinen Abenteuer wird. „Du bist immer dann am besten, wenn’s dir eigentlich egal ist“, heißt es irgendwo. Egal war den Spaßvögeln das Konzert offensichtlich nicht. Es hing fest. Andreas Radlmaier

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