Oberammergauer Passion: Jesus liebt Marias Tochter

Bei der Passionspremiere gibt’s viele echte Helden: Frederik Mayet ist ein frisch verliebter Heiland, Christian Stückls Eltern feiern goldenes Jubiläum und Horst Seehofer würde am liebsten mitspielen
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Bei der Passionspremiere gibt’s viele echte Helden: Frederik Mayet ist ein frisch verliebter Heiland, Christian Stückls Eltern feiern goldenes Jubiläum und Horst Seehofer würde am liebsten mitspielen

Sie ist eine kühle Schönheit und zieht alle in ihren Bann: Keiner entkommt dem wahren Stargast in Oberammergau. Die kalte Sophie hat am Samstag 5000 Premierengäste fest im Griff, die Eisheilige verstärkt mit Nieselregen und Novemberkälte im Freilichttheater den Gänsehautfaktor der packenden Inszenierung. Gesegnet sind jene, die unter dem Anzug oder Dirndl wärmende Skiunterwäsche tragen – und um ihre Hüften eine rote Decke schlingen.

Der lange heilige Tag beginnt um 11 Uhr mit einem ökumenischen Gottesdienst im Passionstheater. Eine Frau im bodenlangen Nerz sucht ihren Sitz, ein bärtiger Platzanweiser sagt: „Da braucha S’ no koa Kartn.“ In ihrer Predigt verurteilt die evangelische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler den Starkult der heutigen Zeit, denn Jesus sei ein Antiheld.

Doch in Oberammergau gibt es zahllose echte Helden. Etwa Michael Doll. Der 94-Jährige spielte schon 1922 im Volk mit, heuer wirkt er zum elften Mal mit – er bekommt dafür von Bürgermeister Arno Nunn eine blaue Urkunde. Christian Stückl ist der Held des Tages. Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn rennt er wie ein Derwisch mit Kippe und Kaffee vor dem Theater herum. Ein paar Pilger wollen Autogramme, Stückl signiert das Textbuch. Er verbringt die Premiere hinter der Bühne, damit er im Notfall eingreifen kann. „Gestern musste der Notarzt einen Henker ins Krankenhaus bringen“, erzählt er. Herzprobleme, heute ist der Mann wieder wohlauf. Stückl spricht ein paar Worte mit Rufus Beck, der seine rote Decke lässig unter dem Arm trägt. Ein paar Schritte weiter wärmt sich im Theatercafé Juliane Köhler auf, Resi-Intendant Dieter Dorn hat einen lustigen Stoffbeutel mit blauem Äffchenmuster dabei.

Vor der Show empfängt Horst Seehofer seine Gäste im VIP-Zelt, der Staatsempfang ist für die Pause geplant. Diese drei Stunden geraten zum Schaulaufen der Powerpaare. Mit strahlendem Lächeln beobachtet Karin Seehofer, wie sich die Kamerateams um ihren Mann drängen. Das Ende des ersten Teils, die Gefangennahme am Ölberg, hat sie berührt. Besonders die bösen Buben haben es ihr angetan. Judas, Kaiphas, „wie die mit sich kämpfen, abwechselnd schwach und stark sind, das ist sehr bewegend“, sagt sie der AZ. Die Kälte lässt sie kalt: „Man hat’s ja gewusst, ich bin warm genug angezogen.“

Wie muss es erst dem Premieren-Jesus Frederik Mayet gehen? Mit Sandalen und dünnem Gewand im ersten Teil, im zweiten mit Lendenschurz am Kreuz. Er betritt mit seiner Freundin Veronika Hecht (20) das Zelt, die ist zuckerschön wie Laetitia Casta – und die Tochter der Marien-Darstellerin Andrea Hecht. Frederik und Veronika sind seit ein paar Monaten zusammen, sie spielt eine Führerin des Volkes. Für Mayet ist die Passion ein gewaltiger Umbruch: Die Hauptrolle, kürzlich wurde er 30, eine neue Freundin. Außerdem ist er der Pressesprecher der Passion und füllt diese Rolle mit buddhistischer Gelassenheit aus. Er sitzt beim Dinner neben Friedrich Kardinal Wetter und erzählt später: „Wir haben über Israel geredet, der Kardinal hatte es ja ursprünglich angeregt, dass wir hinfahren, um uns auf die Passion vorzubereiten.“

Auch für den zweiten Jesus, Andreas Richter, ist die Passion ein großer Einschnitt. Er ist am 25. Dezember Vater von Johann Nepomuk geworden, auch seine Frau Stefanie spielt eine Volksführerin. Die Passion schweißt die Lieben des Lebens hier zusammen, das beste Beispiel dafür sind die Eltern des Spielleiters. Roswitha und Peter Stückl feierten am Vorabend der Premiere ein besonderes Jubiläum: „Am 14. Mai vor 50 Jahren habe ich mich dafür entschieden, in Oberammergau zu bleiben“, sagt Roswitha Stückl. 1960 kam das Schwarzwaldmädel in den Ort und lernte im Stückl-Wirtshaus „Rose“ Peter kennen. Sie haben drei Kinder, Tochter Renate führt die Rose, Sohn Michael ist der Macher der Unterfahrt in München.

Bunte Mütze, beschlagene Brille, karierte Decke: Als einer der letzten kommt Gerhard Polt ins Dinner-Zelt. Ob man ihm eine Frage stellen dürfe? „Ja, aber i mag ned antworten.“ Wie ihm der erste Teil gefallen hat? „Ich bin ja no voll im Eindruck, da kann i nix sagen.“ Auch eine Ansage. An einem Tisch sitzen der Fraktionschef der SPD im Landtag Markus Rinderspacher und, ja, Vize-Parteichef Olaf Scholz – der den Bald-BR-Intendanten Ulrich Wilhelm begrüßt. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ist begeistert von Judas, der „vom Zweifel hin- und hergerissen ist“.

Als absoluter Stückl-Fan outet sich Horst Seehofer. „Hut ab vor ihnen“, bekennt er seinen Respekt vor dem Spielleiter. Der Ministerpräsident hat eine besondere Liebe zu Oberammergau entwickelt. Bei der Spielerwahl im April 2009 blieb er stundenlang dabei: „Ich hab’ so lang gewartet, damit ich auch eine Hauptrolle krieg.“ Die Pointe zündet und an den Tischen lachen alle – von Nina Eichinger über Michaela May und Bernd Schadewald bis hin zu Schulminister Ludwig Spaenle, Innenminister Joachim Herrmann, Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Herzog Franz von Bayern.

Katharina Rieger

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