Nürnbergs irre Gerichts-Bilanz: 195 Prozesse an jedem Tag!
NÜRNBERG Es ist eine wahnsinnige Zahl! Rund 49.500 Verfahren bearbeiteten die rund 220 Richter in Nürnberg im Jahr 2010. Über zu viel Freizeit konnten sich die Vorsitzenden also kaum beschweren – denn das macht 195 Fälle allein an einem einzigen Arbeitstag! Jetzt zog OLG-Präsident Stefan Franke Justiz-Bilanz.
Auffällig angestiegen sind zum Beispiel die Insolvenzfälle, vor allem unter Privatleuten – von 543 (2004) auf 969 (2010)! Bei Firmen waren es letztes Jahr 1269, rund 160 mehr als 2009.
Unverändert hoch mit 8385 Verfahren sind Strafsachen am Amtsgericht (2010). Zum Vergleich: 2009 waren es 8368. Am häufigsten haben es Richter hier mit Dieben und Betrügern zu tun.
Ebenfalls dramatisch: Bis 2009 lag die Zahl der Familienstreitigkeiten jährlich bei etwa 3500 Fällen. 2010 waren es am Amtsgericht dann schon 4253. Franke: „Ein Grund ist die Gesetzesänderung im Unterhaltsrecht.“
Auch Berufungen legten deutlich zu – um rund zehn Prozent auf über 5000 Fälle im letzten Jahr. Machen Richter also immer mehr Fehler? Franke: „Fehler passieren natürlich.“ Ein Grund könnte sein, dass viele Richter immer überlasteter sind. Franke: „Immer mehr ältere Kollegen sind in Rente gegangen. Jüngere, noch Unerfahrene, rückten nach.“ Die Rotation ist hoch, Richter haben dadurch weniger Zeit, sich in einen Bereich einzuarbeiten.
Ein böses Erwachen gab’s auch bei Anlagebetrug: „Wir haben es mittlerweile mit einer Flut von fragwürdigen Anlagegeschäften zu tun“, so Franke. Ein Grund: Die Menschen haben Angst vor der Zukunft, wollen fürs Alter vorsorgen. Das ruft immer mehr Betrüger auf den Plan.
Traurig: In Nürnberg gibt es immer mehr Betreute, also vor allem ältere Menschen, die ihr Leben nicht mehr selbstständig regeln können. Derzeit sind es in Nürnberg rund 8000. Über 3000 neue Fälle landen mittlerweile jährlich am Gericht.
Ein brennendes Thema ist und bleibt die Sicherungsverwahrung von Schwerstverbrechern – gerade in Nürnberg. Denn 95 Prozent der Fälle in Bayern werden hier verhandelt! Vor allem die Frage, ob bereits Untergebrachte wieder in die Freiheit entlassen werden sollten, wird heiß diskutiert. Aktuell hat das OLG drei heikle Fälle – alles Gewaltverbrecher, die seit über 20 Jahren einsitzen – dem Bundesgerichtshof zur Beurteilung übergeben.
Der Justizpalast: Die Grundsanierung mit rund 30 Millionen Euro ist fast vollendet – eine Sicherheitsschleuse am Haupteingang fehlt aber noch. Und Franke wünscht sich eine schönere Ansicht zur Fürther Straße hin: „Eine nächtliche Beleuchtung wie bei der Burg wäre eine gute Sache.“
Das neue Gerichtsgebäude: Auf dem früheren VAG-Depot neben dem Justizpalast soll eine neue Justiz-Filiale entstehen. Genaue Pläne gibt’s noch nicht. Vorstellbar sei, dass das Amtsgericht ein eigenes Gebäude bekommt. Zum Spatenstich kann es aber noch Jahre dauern. Der Präsident: „Das ist alles eine Frage des Geldes.“
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