Nürnberger Schauspielhaus: Zwischen Sex und Politik

Auch Skandale gehören zur Nürnberger Schauspielhaus-Geschichte – und da ging es nicht immer nur um die Frage, wie nackt Kunst sein darf.
von  Abendzeitung
Achim Thorwald trat in der Titelrolle von "Tom Jones" mit Schattenspiel-Erotik auf. Ein Skandal in Nürnberg.
Achim Thorwald trat in der Titelrolle von "Tom Jones" mit Schattenspiel-Erotik auf. Ein Skandal in Nürnberg. © Az-Archiv

Auch Skandale gehören zur Nürnberger Schauspielhaus-Geschichte – und da ging es nicht immer nur um die Frage, wie nackt Kunst sein darf.

Ab wann kann das Gemurmel, das eine Aufführung auslöst, als „Theaterskandal" gelten? Der Journalist Bernd Noack hat kürzlich ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass es Skandale nicht mehr gebe. Das bleibt wohl auch bei den 50 Schauspielhaus-Jahren eine Frage der Einschätzung. Wütende Buh-Konzerte nach Premieren lassen eher mal in der Oper die Intendantenfenster wackeln, weil Zuschauer im Schauspiel mehr Toleranz mitbringen. Nackte auf der Bühne sind sowieso keine Herausforderung mehr. Rote Fahnen wurden lange nicht gesehen. Und falls mal wieder ein Regisseur Gesinnung zeigen sollte - na wenn schon! Das war nicht immer so, denn das halbe Jahrhundert birgt auch die Chronik von Unruhestiftungen.

Hauptdarsteller pöbelt gegen Politiker

Der überlieferte erste Skandal fand im September 1959, noch vor der offiziellen „Wallenstein"-Premiere statt. Nach zwei Voraufführungen war der Hauptdarsteller mit den Nerven am Ende, pöbelte öffentlich gegen Politiker und musste Bühne und Stadt wankend verlassen. „Das geht ja gut an", knurrte Intendant Karl Pschigode, der von schnellen Entlassungen nichts hielt. Etliche Jahre später trennte er sich dennoch vom populären Kurt Hepperlin, weil der eine ausverkaufte Vorstellung von „Eppelein von Gailingen" einfach vergaß. Mehr Aufsehen erregte es, als Bernd Schäfer 1968 gehen musste. Er hatte gegen die Notstandsgesetze protestiert, was im Haus untersagt wurde, und vor dem Theater über „Faschisten im Rathaus“ geschimpft. Theaterpfleger war Willy Prölß (später: Bürgermeister) und er wies den Verdacht der Abstrafung zurück. 1970 sollte eine ganze Aufführung verboten werden. Günther Tabor hatte Pavel Kohouts Zirkus-Parabel „August, August, August“ mit Jürgen Cziesla zur antikommunistischen Polemik umgebogen, was Autor und Verlag erzürnte. Die Direktion ließ, um ein Verbot zu verhindern, daraufhin alle Flaggen des Warschauer Pakts von der Bühne verschwinden.

Boykott, weil im Lustspiel ein Kardinal als Kindsvater auftrat

Damals genügte ein Verstoß gegen die Konvention, um Protest auszulösen. Als die harmlos mit der Frivolität kokettierende Curt-Goetz-Komödie „Der Lügner und die Nonne" von 1928 in den sechziger Jahren auf den Spielplan geriet, sagte die Besucherorganisation „Kunst dem Volke" ihre Vorstellung ab, weil da ein Kardinal in den Verdacht der Vaterschaft gerät. Kurz danach, bei Bonds Schocker „Gerettet" mit der berüchtigten Steinigung im Kinderwagen, fiel der Widerspruch eher flau aus. Dafür empörte sich die Lehrerschaft über Achim Thorwald als Charme-Halunke „Tom Jones", denn Regisseur Günther Büch illustrierte die espritbedürftige Aufführung mit lebendem Liebesspiel-Scherenschnitt. Die Schüler durften die Erotik-Schatten nicht sehen - und protestierten mit Flugblatt-Aktionen. Büch wies den Zensurfreunden dann nach, dass die gezeigten Stellungen für den Vollzug der Sünde technisch gar nicht funktionierten. Vor Kolle konnte man das nicht wissen.

1971 fallen alle Hüllen

Richtig hüllenlos wurde es erst 1971, als der französische Star-Regisseur Jorge Lavelli in der Arrabal-Groteske „Der Architekt und der Kaiser von Assyrien" die beiden männlichen Darsteller nackt spielen lassen wollte. Wochenlange geheimnisvolle Debatten mit dem führenden „Helden"-Spieler Hannes Riesenberger (sonst Fiesko und Hamlet und Macbeth) und dem von Nestroy bis „Hölderlin“ spielenden Partner Peter Pichler. Jener sah sich gar genötigt, die Meldung, er habe keine Probleme mit dem Ausziehen, zu dementieren. Es waren halt verdruckste Zeiten, die (großartige) Vorstellung kam dennoch nach Lavelli-Wunsch zustande - sie wurde mit Jugendverbot belegt und aus dem Abonnement genommen.

Erfolg nach Premieren-Tumult

Zwei Direktoren starteten mit größtmöglicher Herausforderung - und bekamen jeweils die von Buh und Bravo und Stadtgespräch befeuerte Aufmerksamkeit. Hansjörg Utzerath inszenierte wie ein Leitmotiv „Rose Bernd" von Gerhart Hauptmann, schickte die ungeschützt nackte Christiane Lemm auf ein Macho-Bühnenbild aus riesigen LKW-Reifen. Er ärgerte mit dieser ätzend klaren Sicht die Maria-Schell-Verehrer fast noch mehr als die Moralinverwalter. Gut 20 Jahre später machte es Klaus Kusenberg ähnlich, indem er Schmiedleitner das Shakespeare-Schlachtfest „Margaretha di Napoli" mit einer ihre Reize unverhüllt einsetzenden Titelheldin, gespielt von Melanie Wiegmann, auf die Bühne schmettern ließ. Nach dem Premieren-Tumult wurde ein Erfolg draus.

Lessing in der Badewanne

Das kann man von Volker Spenglers Zugriff auf „Emilia Galotti" nicht behaupten. Burkhard Mauer hatte den wuchtigen Berliner Volldampf-Schauspieler als Regisseur geholt und freie Hand gelassen. Also geriet Lessings Personal in die Badewanne, welche man meist textilfrei zu betreten pflegt. Womit neben Michael Hochstrasser (zuletzt 2007 als Mephisto und 2009 in „Ladies Night" völlig unbeanstandet entblößt) auch der damalige Groß-Mime Michael Abendroth sein FKK-Debüt hatte. Er konnte die Erfahrung brauchen, als er 2006 am Düsseldorfer Schauspielhaus bei Jürgen Goschs körpersaftiger „Macbeth"-Demo, die dann die ganze Republik als „Ekel-Theater“ beschäftige, dabei war. Bei der „Emilia"-Premiere, wegen der Sanierung kam sie erst in Fürth heraus, leerte sich der Zuschauerraum - und die Übernahme nach Nürnberg wurde abgesagt.

Schwulen-Drama und Vagina-Monologe

Hart an die Grenze wagte sich Fassbinder-Schauspieler Hans Hirschmüller, als er das Schwulen-Drama „Tropfen auf heiße Steine" von RWF mit nacktem Paar inszenierte. Da gab es reichlich Post an Theaterleitung und Rathaus. Die Verbal-Erotik der „Vagina-Monologe“ schreckte Schauspielerinnen ab, bis sich Adeline Schebesch erbarmte und einen erfolgreichen Abend an der Intimzone draus machte.

Im Stadtrat läuten die Alarmglocken

Skandalstimmung mit politischem Hintergrund blieb selten. Entweder wurde es gar nicht wahrgenommen wie die Blockade von Hochhuths „Stellvertreter" oder es war ein Strohfeuer (wie der Protest-Reflex, als Büch in Dorsts „Toller"-Drama genießerisch ein Meer von roten Fahnen zeigte). Hans Dieter Schwarze hatte für sein „Volkstheater" einen Zirkus-Wagen für Straßentheater eingeplant. Als seine teils der DKP nahestehenden Schauspieler mit der selbstgeschriebenen Polit-Revue „Hansel Harlekin" direkt ins Nürnberger Leben eingreifen wollten, schrillten im Stadtrat Alarmglocken. Kulturreferent Hermann Glaser, sonst eher ein Verfechter von Freiräumen, fand die Agitation problematisch. Von Zensur wollte dennoch keiner reden, als das Projekt starb. „Er hat uns in der Diskussion plattgemacht", sagte einer der Beteiligten über die Debatten.

Prüderie bleibt eine Konstante

Dass es gar keine Tabus am Theater mehr gibt, ist eine maßlos übertriebene Behauptung. Im Jahrzehnt von Klaus Kusenberg, wo allenfalls noch Aufregung bei Schmiedleitners feuchten Spektakeln überliefert ist, bleibt Prüderie eine Konstante des Systems. Wenn Darsteller auf der Bühne ablegen, werden Pressefotografen nach wie vor mit Knipsverbot belegt. Und im Interview mit Marco Steeger vor dem riesigen Erfolg mit der Herrenstrip-Komödie „Ladies Night" sagte der schon vielfach entkleidete Schauspieler noch im Jahre 2009, er habe sich dazu „überwinden" müssen. Dieter Stoll

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