Nürnberg: Erinnerungskultur oder "Erhaltungsfetischismus"

Lange tat sich Nürnberg schwer mit seinen Nazi-Hinterlassenschaften. Das hat sich längst geändert: Die Stadt setzt sich intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinander - nach Ansicht mancher Historiker sogar im Übermaß. Sie warnen bei NS-Bauten vor "Erhaltungsfetischismus".
Nürnberg – Sie war einst die Schaubühne der Nazis - der Ort, an dem sich das menschenverachtende NS-Regime aufwendig inszenierte und alljährlich Zehntausende dem Führer Adolf Hitler die Treue schworen. Von der Zeppelintribüne auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände ist knapp 80 Jahre später nur noch ein säulenloser, bröckelnder Torso übrig. Dem noch verbliebenen Mittelbau mit Haupt- und Nebentribünen droht der komplette Verfall. Es sei denn, das Bauwerk wird saniert.
Seit Jahren setzen dem Fragment des altargleichen Monumentalbaus Regenwasser und Frost zu: An vielen Stellen lösen sich Muschelkalkverblendungen, platzen Steinbrocken ab und gefährden Besucher, die jährlich zu Zehntausenden die Nazi-Hinterlassenschaft besichtigen. Ein Seitenflügel darf wegen Baufälligkeit schon seit Jahren nicht mehr betreten werden. Andere Teile haben Bauleute mit Holzkonstruktionen, Maschendraht und Fangnetzen provisorisch gesichert.
Deshalb muss sich die Nürnberger Stadtspitze mit der Frage beschäftigen, wie sie langfristig mit der bröckelnden Nazi-Hinterlassenschaft umgehen soll. Immerhin schätzen Fachleute allein die Sanierungskosten auf 60 bis 75 Millionen Euro. Die Debatte darüber ähnelt inzwischen den Diskussionen in den 1960er und 1970er, als es um einen angemessenen Umgang der Stadt mit dem Reichsparteitagsgelände ging - heute allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.
Damals hatten Historiker der Stadtführung "Geschichtsvergessenheit" und "Verdrängung ihrer Nazi-Geschichte" vorgeworfen, weil sie etwa aus der früheren Nazi-Kongresshalle ein Einkaufszentrum machen wollte. Heute sieht die Kommune sich eher mit dem gegenteiligen Vorwurf konfrontiert: Mit ihren Plänen, die Zeppelintribüne mit Millionenaufwand zu sanieren, seien die Politiker einem "Erhaltungsfetischismus" verfallen, kritisierte jüngst der Nürnberger Kulturhistoriker Herrmann Glaser.
Unterstützung bekam Glaser inzwischen von dem Jenaer Historiker Norbert Frei. In einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" schrieb der Professor für Neuere und Neueste Geschichte mit Blick auf die marode Zeppelintribüne: "Siebzig Jahre nach dem Ende des "Dritten Reichs" wäre es an der Zeit, einmal innezuhalten und sich zu fragen, wo man eigentlich hin will mit dieser infrastrukturell immer weiter perfektionierten, gedanklich jedoch zusehends leerlaufenden Erinnerungspolitik."
Mit der Idee des Nürnberger Architektenvereins "Baulust", die Zeppelintribüne hinter einer dicken Glaswand kontrolliert verfallen zu lassen, kann sich Frei dabei durchaus anfreunden. Der Architektenverein war bereits bei einer Diskussionsveranstaltung vor gut einem Jahr im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände damit auf große Zustimmung gestoßen.
Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) wie auch seine Kulturreferentin Julia Lehner (CSU) erteilen derweil Vorschlägen für einen kontrollierten Verfall des Nazi-Baus eine klare Absage. Das Zeppelinfeld, sagt Maly, sei ein fester Bestandteil der Erinnerungskultur der Stadt. Freis Vorwurf, die Stadt schiele mit der Sanierung der Zeppelintribüne vor allem auf den lukrativen Städtetourismus, wies Maly energisch zurück. Nürnbergs Weg sei genau das Gegenteil von "Infotainement", betonte er unlängst.
Lehner hält es schon wegen des zunehmenden Mangels an Zeitzeugen für eine Verpflichtung, einen solchen authentischen Ort zu erhalten. "Das Zeppelinfeld ist ein Fragment, das Aufklärung liefert, wie ein totalitäres System funktioniert", argumentiert sie. Außerdem: Mit dem Verfall der Zeppelintribüne würde die Rechnung von Hitlers Architekten Albert Speer aufgehen. Habe der doch die Vorstellung gehabt, die Zeppelintribüne später einmal wie Bauwerke der Antike verfallen zu lassen. Genau eine solche Mystifizierung wolle Nürnberg nicht.
Nürnbergs neuer Bauerreferent Daniel Ulrich versucht derweil klar zu machen, dass es der Stadt keineswegs um eine "historische Rekonstruktion" der Zeppelintribüne geht. "Wir wollen mit einfachen Mitteln den jetzigen Eindruck erhalten", sagt Ulrich, für den das NS-Bauwerk kein "Objekt der Baukultur, sondern allein von sozialgeschichtlicher Bedeutung" ist. Es gehe darum, das Eindringen weiterer Feuchtigkeit zu stoppen. Derzeit würden dazu mehrere technische Lösungen getestet. "Erst im Laufe von 2015 wissen wir, in welche Richtungen das geht."