"Nicht in einem Schneckenhaus": Pfarrer Walter Kotschenreuther geht in Rente

Cham - "Im Juni werde ich das erste Mal seit 50 Jahren keinem Gremium vorsitzen." Walter Kotschenreuther, der seit 1999 Dekan des evangelischen Bayerwald-Dekanats ist, freut sich auf seinen nahenden Ruhestand.
In den vergangenen Jahrzehnten aber war er mit Leib und Seele Pfarrer. Einer, dem Glaube, soziales Engagement und Humor gleichermaßen wichtig sind. In Cham hinterlässt er, wie er es nennt, eine "Perlenkette" an sozialen Einrichtungen, die er initiiert hat.
Hier verbrachte der Franke auch die längste Zeit an einem Ort. "Jetzt haben wir hier Wurzeln geschlagen", sagt er. Deshalb zieht es seine Frau und ihn nach seiner Amtszeit nicht zurück nach Nürnberg, sondern nur ein paar Kilometer weiter - nach Roding.
Walter Kotschenreuther: "In Roding bin ich weg, aber doch nicht weg"
Diesen kleinen Abstand aber will Kotschenreuther dann doch zwischen sich und seiner langjährigen Wirkungsstätte in der Kreisstadt wissen. Wenn man als Pfarrer lange an einem Ort war, könne man dort nicht bleiben, wenn der Ruhestand auch einer werden soll. "In Roding bin ich weg, aber doch nicht weg."
Dass es ihm langweilig wird, muss man nicht befürchten. "Ich hab nie gesagt, dass der Beruf mein Hobby ist. Ich habe Hobbys", macht Kotschenreuther deutlich.
Seine Modelleisenbahn zum Beispiel. Sie war stets auch der Platz, an dem er seinen Kopf frei bekam. Besonders dann, wenn er Menschen in kritischen Lebensphasen begleitet habe, erzählt er. "Ich versuche, mich in die Menschen und ihre Lebenssituation hineinzudenken. Da ist es nicht immer einfach wieder herauszukommen."
Kotschenreuther: Ein Garten muss sein
Ein anderer Ort, ohne den Kotschenreuther nicht leben könnte, ist der Garten. Der gab einst auch den Ausschlag, dass er die Dekanstelle in Cham annahm. "Ich hatte mich schon dafür interessiert, Dekan zu werden", erzählt er.
Damals war er bereits stellvertretender Dekan in Landshut. Der Schubs kam vom stellvertretenden Regionalbischof. "Sie bewerben sich jetzt auf Cham", habe ihm dieser gesagt. Aber nur weil das Pfarrhaus einen Garten hatte, zog Kotschenreuther mit seiner Familie ein.
"Die Frage ist, wie viel ist mir die Karriere wert", sagt er. "Ich wollte mich nie verbiegen. Das ist mir sehr wichtig." Wenn Kotschenreuther vom Wichtigen spricht, dann gehört dazu auch seine Frau. Ihr habe er viel zu verdanken.
Nicht zuletzt, dass er all die Chancen, die sich ihm boten, auch wahrnehmen konnte. "Sie ist meine ehrlichste Kritikerin, meine Stütze und mein Halt." Dabei gab es doch einiges zu diskutieren zwischen der Diplom-Biologin und dem Theologen. "Wissenschaft und Glaube sind so ein Lebensthema von uns. Aber wir sind auf den selben Zweig gekommen."
"Mir war immer wichtig, geerdet zu sein, auch in der Sprache"
Vielleicht auch, weil Kotschenreuther einst mit einem Chemiestudium liebäugelte. Am Ende wurden es Theologie und Psychologie. Im Herzen sei er ein Intellektueller, sagt er selbst über sich. Er ist belesen, zitiert Hesse, Brecht, Adorno und den Atheisten Camus. Und er freut sich darauf, sich wieder in diese Geisteswelt zu vertiefen: "Ich schätze es, wenn ich wieder theologisch denken darf."
Pfarrer war er dennoch mit Leib und Seele. Als Dekan sei er "ein halber Verwaltungsbeamter", der mit Diakonie und Kindergarten einen Betrieb mit fast 70 Mitarbeiten leite. "Pfarrer sein ist heute sehr stark ein Gestaltungsauftrag. Das hat was Unternehmerisches." Und ein Pfarrer müsse auch raus zu den Menschen.
Dort findet Kotschenreuther stets Worte, die alle verstehen. "Mir war immer wichtig, geerdet zu sein, auch in der Sprache", betont er. Selten habe er den frommen Zeigefinger erhoben. Deutlich wurde er hin und wieder trotzdem. Aber Kritik, sagt Kotschenreuther, müsse immer konstruktiv sein. Die eigentliche Aufgabe einer Kirche sei es, die Gesellschaft zu verbinden. Was zugegeben, momentan nicht ganz so gut gelinge.
Kotschenreuther: Perlen zum Geburtstag
Kotschenreuther aber hat seinen Beitrag geleistet. Mit seiner "Perlenkette." Zum 50. Geburtstag wünschte er sich die Chamer Tafel, zum 55. das Sozialkaufhaus der Diakonie, zum 60. wurde der Kindergarten barrierefrei und anlässlich seines 65. im vergangenen Jahr folgt nun die letzte Perle, eine Beratungsstelle für häusliche Gewalt. "Wir Christen leben in dieser Welt, nicht in einem Schneckenhaus", begründet Kotschenreuther, der auch ein politischer Mensch ist, sein Engagement.
Sein größter Fehler aber sei gewesen, dass er es als Lob aufgefasst habe, als ihm eine Frau bescheinigte, sie hätte nie gedacht, dass er Pfarrer sei. Heute sei er der Auffassung: "Man soll uns abspüren, dass wir Gott in der Welt zur Sprache bringen - und zwar auch ohne Collarhemd."
Mit dem wird man Kotschenreuther nicht antreffen. "Das ziehe ich erst an, wenn ich es offiziell in Rot tragen darf. Aber dass ich noch Kardinal werde, glaube ich nicht", sagt er und lacht aus tiefstem Herzen. Es ist dieser Humor, der ihm ebenso wichtig ist. Schließlich habe auch Gott viel Humor, da müsse man sich nur die Menschheit anschauen, sagt Kotschenreuther. Und wieder lacht er.
Ökumene als Lebensthema
Sein Lebensthema in 35 Dienstjahren wurde die Ökumene. "Als Pfarrer in Dingolfing habe ich die Diaspora lieben gelernt und die katholische Kirche zu respektieren", erzählt Kotschenreuther. Er schaue auf die Anliegen und da seien beide Kirchen ganz nah beieinander. In Cham ist die Tafel der sichtbarste Ausdruck dafür.
Sein Motto bei der Gründung sei gewesen: "Wir Christen von Cham machen das." Und so teilen sich der katholische Pfarrer von Sankt Jakob und der evangelische Pfarrer den Vorsitz. Das gibt es nicht oft in Bayern.
Am 1. Juni endet Kotschenreuthers Dienstzeit in Cham offiziell. Bereits am 1. Mai um 15 Uhr wird er verabschiedet. Den einen Monat - geschuldet dem Resturlaub - nutzt er für den Umzug nach Roding. Die Frage, ob er zurück nach Nürnberg geht, habe sich schon gestellt, sagt er. "Alle sind evangelisch, das wär schon wieder schön." Andererseits sei er auch hier heimisch geworden: "Ich liebe diese Gegend. Wenn man sich auf einen Berg stellt und runterschaut, sieht man: Wir leben in einem Park, den der Herrgott angelegt hat."
Beruflicher Werdegang bescherte Kotschenreuther vielfältige Aufgaben
Nach dem Abitur mit 18 Jahren studiert er Theologie, exmatrikuliert sich nach neun Semestern, um Psychologie studieren zu können. Mit 23 Jahren, sagt er, wollte er noch nicht gleich ins Pfarramt gehen. Auch nach seinem Abschluss bleibt er noch vier weitere Jahre er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an der Uni.
Als Pfarrer verschlägt es ihn dann in die Diaspora - nach Dingolfing. Ein Kulturschock. Eigentlich wollte er dort nur drei Jahre bleiben. Daraus seien dann fast zehn Jahre geworden.
Vier Jahre ist er Pfarrer in Taufkirchen-Dorfen, ehe 1999 der Ruf nach Cham kommt. Im Dekanat Landshut war er bereits stellvertretender Dekan, in Cham steht er dann dem Bayerwalddekanat vor. Zwölf Jahre war Kotschenreuther auch ständiger Stellvertreter des Regionalbischofs.
Und obwohl er als Lehrerkind nie unterrichten wollte, war er sogar Examensprüfer für angehende Religionslehrer.