Neues Schickedanz-Buch enthüllt Geheimnisse des Millionen-Clans

Der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen (58) erforschte die Lebensgeschichte des legendären Quelle-Gründers sowie Aufstieg und Niedergang des Unternehmens
FÜRTH Er war Revolutionär und Profiteur, Patriarch und Familienmensch. Vor allem aber war Gustav Schickedanz Kopf und Seele des Versandhauses Quelle. Auf der Basis seines Nachlasses erscheint jetzt eine Biografie über den erfolgreichen Unternehmer. Und enthüllt einige Geheimnisse des fränkischen Millionen-Clans...
Gustav Schickedanz hatte das, was man den richtigen Riecher nennt: ein Gespür für Menschen und ihre Bedürfnisse. Und er besaß das Talent, diese Wünsche auch in Zeiten des Mangels zu erfüllen. Mit bezahlbarer Kleidung in guter Qualität, die er seinen auf dem Land lebenden Kunden direkt ins Haus lieferte, legte der Großhändler für Kurz- und Wollwaren in der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre den Grundstein für das spätere Quelle-Imperium.
„Natürlich war das ein knallharter Unternehmer, der genau wusste, was er wollte, der diesen Urinstinkt hatte, der die Chancen gewittert hat“, erläutert der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen (58). Er hat gerade die erste Biografie über den erfolgreichen Firmenchef verfasst und konnte dafür aufs Privatarchiv der Familie zurückgreifen.
Schickedanz passte sich nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den politischen Umständen an: 1932 trat er in die NSDAP ein. Die Banderolen um die Quelle-Päckchen trugen die Aufschrift „rein christliches Versandhaus“.
Gregor Schöllgen, Professor für Neuere Geschichte an der Uni Erlangen-Nürnberg, der bereits die Geschichte des Familienunternehmens Diehl (2002) und die Biografie des Nürnberger Eiskönigs Theo Schöller (2008) veröffentlichte: „Schickedanz war ein anständiger Geschäftsmann.“ Zwar habe er von den Zeitumständen profitiert und mehrere Industrieunternehmen jüdischer Eigentümer gekauft. Doch er habe deren Zwangslage niemals ausgenutzt.
Madeleine bekam ihren Vater nur selten zu Gesicht
Zu dem Schluss, dass Schickedanz kein Antisemit war und die NS-Politik nicht aktiv unterstützte, kamen nach 1945 auch die Untersuchungsbehörden: Sie stuften Schickedanz in Bayerns aufwendigstem Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer ein. Bis 1953 dauerten die Wiedergutmachungsverfahren, aus denen der Quelle-Chef laut Schöllgen ebenfalls „ungewöhnlich sauber“ herauskam.
Erst nach Abschluss der Verfahren durfte der Kunst- und Literaturliebhaber sich um den Wiederaufbau des Unternehmens kümmern. Darunter litt die jüngere der beiden Töchter, Madeleine. Sie bekam ihren Vater nur selten zu Gesicht. Doch die Quelle-Umsätze explodierten in der Wirtschaftswunderzeit geradezu – obwohl bei einem Bombenangriff ein Großteil der Adressdatei im Fürther Stammsitz verloren gegangen war.
Allerdings trug das größte Versandhaus Europas seinen Untergang bereits in sich. 43.000 Mitarbeiter waren bei Schickedanz' Tod 1977 in der Gruppe beschäftigt, erwirtschafteten 8,3 Milliarden DM Umsatz und verschickten jährlich 25 Millionen Pakete. Trotz der enormen Arbeitslast hatte Schickedanz sein Imperium völlig auf sich ausgerichtet – bis zum letzten Atemzug. Diese Lücke zu füllen überforderte seine Nachfolger, seine zweite Ehefrau Grete und Tochter Madeleine zusehends.
Es mehrten sich die Fehler: Zu sehr setzten die Nachfahren auf den Katalog, verpassten aber den Einstieg ins Internetzeitalter. Vor allem hielten die Erben zu lange an den unrentablen Kaufhäusern fest. Erst 1993 verkauften sie – und stiegen dann bei Karstadt ein, um an Geld zu kommen. Den im Rückblick entscheidenden Fehler machte Madeleine Schickedanz, die sich dem operativen Geschäft selbst nicht gewachsen fühlte. Schöllgen: „Mit einer geradezu atemberaubenden Konsequenz hat sie auf die falschen Manager gesetzt.“ Einer davon war Thomas Middelhoff, der unter dem Dach von KarstadtQuelle das Tafelsilber des Traditionsunternehmens verkaufte.
Es folgte die Insolvenz. Nach spektakulären Rettungsversuchen war am 20. Oktober 2009 das Lebenswerk von Gustav Schickedanz endgültig zerstört.Elke Richter
Gregor Schöllgen: „Gustav Schickedanz: Biographie eines Revolutionärs“; Berlin-Verlag. 464 Seiten, 32 Euro. Das Buch erscheint am Samstag