Neuer Prozess zu Reichenhall-Katastrophe
Pfusch am Bau – das hat der erste Prozess um den Einsturz der Eislaufhalle von Bad Reichenhall mit 15 Toten erwiesen. In einem neuen Verfahren wird nun geprüft, ob ein gründlicheres Gutachten über den Bauzustand des Stadions die Katastrophe hätte verhindern können.
Traunstein/Bad Reichenhall – Wo einst Schlittschuhläufer
ihre Runden drehten, liegt Bauland brach. Die Ruine der Eislaufhalle
von Bad Reichenhall ist dem Erdboden gleichgemacht. Nur noch eine
Gedenkstätte erinnert an die 15 getöteten Kinder und Mütter – für
jedes Opfer eine bunte Glasstele. Doch juristisch ist die Katastrophe
auch nach fast sechs Jahren nicht aufgearbeitet. Von diesem
Donnerstag (15. September) an wird der Prozess um die Schuldfrage
beim Einsturz des baufälligen Gebäudes in Teilen neu aufgerollt.
Am 2. Januar 2006 waren die riesigen Dachträger der Halle unter
der Last tagelangen Schneefalls eingeknickt. 15 überwiegend junge
Menschen starben in den Trümmern, erschlagen von tonnenschweren
Balken. Besonders tragisch: Sechs Minuten später wäre der Betrieb in
der Eislaufhalle für jenen Tag beendet worden.
Im November 2008 verurteilte eine Große Strafkammer den
Hallenkonstrukteur wegen fahrlässiger Tötung zu eineinhalb Jahren
Haft auf Bewährung. Einen Gutachter und einen Architekten sprachen
die Richter frei. Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung.
Anfang 2010 kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) den Freispruch für
den Gutachter und verwies den Fall zur Neuverhandlung ans
Traunsteiner Landgericht zurück. Die Bewährungsstrafe und den anderen
Freispruch bestätigten die Karlsruher Richter.
Auch im neuen Prozess dürfte jedoch die Rolle der Stadt beim
Unterhalt des mehr als 30 Jahre alten maroden Gebäudes kaum stärker
in den Mittelpunkt rücken. Die BGH-Richter hatten nur moniert, dass
der von der Kommune mit einem Billiggutachten beauftragte Ingenieur
das Hallendach nicht sorgfältig genug untersuchte. Er schaute sich
lediglich einen von zehn riesigen Holzbalken genauer an, die anderen
betrachtete er von unten mit einem Teleobjektiv. Sein Fazit: Die
Halle ist in einem guten Zustand. Drei Jahre später stürzte sie ein.
In ihrer Revisionsbegründung wurden die Karlsruher Richter
deutlich: „Wenn der Angeklagte seinen Auftrag pflichtgemäß erfüllt
hätte, dann wäre das ein deutliches Alarmsignal für die Stadt
gewesen, etwas zu unternehmen“, heißt es darin. Die Staatsanwälte
wollen dem heute 58-Jährigen nun nachweisen, dass er mit seinem
Gutachten exakt die Erwartungshaltung der Stadtspitze erfüllte. Sie
sehen darin ein aktives Handeln des Angeklagten und nicht nur ein
Unterlassen, wie es das Gericht in erster Instanz beurteilt hatte.
Der Gutachter muss sich jedenfalls erneut wegen fahrlässiger Tötung
verantworten. Seine Verteidiger werden dennoch alles daran setzen,
erneut einen Freispruch für ihren Mandanten herauszuholen.
Die Verantwortlichen von damals im Reichenhaller Rathaus, allen
voran Ex-Oberbürgermeister (OB) Wolfgang Heitmeier, will die
Anklagebehörde weiterhin nicht zur Rechenschaft ziehen. Der Alt-OB
ist am zweiten Verhandlungstag lediglich als Zeuge geladen und wird
erneut insbesondere zu der Auftragsvergabe an den Gutachter befragt.
Die Eltern oder Ehepartner der 15 Todesopfer – viele von ihnen
treten als Nebenkläger auf – sähen freilich lieber die Rathausspitze
auf der Anklagebank. Sie sind nach wie vor der Überzeugung, dass die
wahren Schuldigen in den Amtsstuben saßen oder immer noch dort tätig
sind. Doch der einzige Angeklagte der Stadtverwaltung, der
mittlerweile 75-jährige einstige Leiter des Hochbauamtes, ist seit
Beginn des Verfahrens verhandlungsunfähig. „Daran hat sich nichts
geändert“, wie Staatsanwalt Andreas Miller weiß und damit Hoffnungen
der Nebenkläger dämpft. Es erscheint wegen einer schweren Krankheit
unwahrscheinlich, dass er sich jemals vor Gericht verantworten muss.
Für den neuen Prozess hat der Vorsitzende Richter Jürgen Zenkel
bis Ende Oktober zehn Verhandlungstage angesetzt. Der erfahrene
Jurist wird für seine straffe Prozessführung geschätzt. Dies dürfte
allen Beteiligten in dem Mammutverfahren zu gute kommen. Zenkel muss
15 Zeugen befragen und die Expertenmeinung von 5 Sachverständigen zu
teils hochkomplexen bautechnischen Fragen einholen. Wenn der Zeitplan
eingehalten wird, verkündet die 6. Strafkammer am 27. Oktober das
Urteil.
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