Neue Identität für den Mittagsmörder
Straubing - Der "Mittagsmörder" - wie ein Etikett, das sich partout nicht abziehen lässt, klebt der Begriff an ihm. Auch die 50 Jahre, die er in der Justizvollzugsanstalt Straubing hinter Gittern saß, änderten daran nichts. Seit 2015 lebt der Serienmörder wieder in Freiheit und will seine dunkle Vergangenheit loswerden. Deswegen hat Klaus G. vor Kurzem sogar seine Identität gewechselt.
Der Weg zurück in die Freiheit war für ihn schwierig genug. Die Staatsanwaltschaft hatte trotz der langen Haftdauer etwas dagegen, das Oberlandesgericht Nürnberg zunächst auch. Erst das Bundesverfassungsgericht, das ihm die Chance zur Resozialisierung nicht absprechen wollte, ebnete ihm den Weg dorthin. Auch sein hohes Alter spielte dabei eine Rolle.
Aus der VW-Käfer-Epoche ins Smartphone-Zeitalter
Bevor sich nach 49 Jahren, acht Monaten und 26 Tagen die Gefängnistore für ihn öffneten, war zwei Jahre lang ein intensives Sozial-Training nötig, um den gigantischen Zeitsprung aus der VW-Käfer-Epoche ins Smartphone-Zeitalter real werden zu lassen. Aus dem Jahr 2012 stammt auch ein Leserbrief von ihm, der in der Lokalzeitung seiner Heimatgemeinde Hersbruck veröffentlicht wurde. Darin beschwert er sich, dass er immer noch als skrupelloser Täter dargestellt werde, obwohl er seine Taten tief bedauere und sich geändert habe.
Eine tiefgreifende Veränderung dürfte auch die entscheidende Voraussetzung für seine Freilassung gewesen sein. Als er 1967 vor Gericht stand und wegen fünffachen Mordes verurteilt wurde, war seine Gefühlskälte ein auffallendes Merkmal seines Wesens. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Ermittlungs- und Prozessakten.
"Waren doch selbst schuld, wenn ich sie erschießen musste"
Eine Passage aus einem Vernehmungsprotokoll der Kripo machte das damals deutlich: "Wenn ich in die Sparkasse kam und die Pistole zückte", erklärte er, "dann hatten sie alle die Pfoten hochzunehmen. Wenn sie das nicht taten, waren sie doch selbst schuld, wenn ich sie erschießen musste." In einem anderen Zusammenhang sprach er von "Notwehr", als er sich mit tödlichen Schüssen den Weg freigeschossen hatte.
Der "Mittagsmörder" wurde, wie das Gericht feststellte, von Geldgier getrieben. Er klaute Handtaschen, überfiel Geschäftsleute und machte von seinem Waffenarsenal, das er sich zusammengestohlen hatte, rücksichtlos Gebrauch. In Neuhaus/Pegnitz erschoss er einen Boten (58) der Bank, der den Überfall nicht mitbekommen hatte und nach seiner Brille in der Brusttasche griff. Auch in der Sparkasse Ochenbruck (Kreis Nürnberger Land) war es eine "verdächtige" Handbewegung des Kassiers, die ihm reichte, um mehrfach aus nächster Nähe abzudrücken.
Auch wenn G. aus prozesstaktischen Gründen nur für fünf Morde verurteilt wurde, waren Polizei und Staatsanwaltschaft angesichts der eindeutigen Beweislage davon überzeugt, dass er auch noch ein Paar erschossen hat, das ihrer Vermieterin zur Hilfe eilen wollte (1960).
Auf sein Konto gehen außerdem der Mord an den Inhabern, Mutter und Sohn, eines Waffengeschäfts, sowie der Mord am Hausmeister von C&A. Danach wurde er festgenommen und zwei Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt.
Von der automatischen Waffe zur filigranen Geige: Diesen Paradigmen-Wechsel hat er in der Justizvollzugsanstalt Straubing geschafft. Seine entdeckte Liebe zur Musik bewies er auch noch im Gefängnis-Chor, und er entwickelte Interesse für die großen Philosophen des Landes. Einem Medienbericht zufolge soll er über das Mittelalter sogar ein Buch geschrieben haben.
Klaus G. fühlt sich vom Begriff "Mittagsmörder" verfolgt
Eine Rückkehr in die Freiheit war mit gerichtlichen Auflagen verbunden und vollzieht sich stückweise. Nach seiner Entlassung lebte er zunächst mehrere Jahre in einem von Sozialarbeitern betreuten Wohnheim für entlassene Strafgefangene. Inzwischen hat er Bayern verlassen.
Ein Jugendfreund hat ihn immer wieder im Gefängnis besucht. Er habe den Eindruck, sagte er dem BR, dass er bereue, was er getan habe. Er berichtete auch davon, dass sich G. von dem Begriff "Mittagsmörder" verfolgt gefühlt habe. Er bekam den Namen, weil er immer mittags zuschlug. Ist er dieses Etikett jetzt endgültig losgeworden?
Mit einem bürokratischen Kraftaufwand hat er bei den zuständigen Verwaltungsbehörden die Änderung seiner Identität durchgesetzt. Seit einem Jahr hat er einen neuen Wohnsitz und lebt allein in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung. Die Integration scheint zu funktionieren. Im Gemeindeblatt wurde ihm bereits herzlich zum 80. Geburtstag gratuliert.