Nach Schockdiagnose Blutkrebs: Stammzellspender aus Bayern wird Trauzeuge

Nürnberg/Erlangen - Nach Amerika fliegen und dort Trauzeuge eines Mannes werden, den man zuvor noch nie gesehen hat? Die Wahrscheinlichkeit dafür dürfte – ohne dies berechnet zu haben – sehr gering sein. Der Mathematiker Jan Rolfes (35) hat genau das erlebt.
Der Vertretungsprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen hatte dem Bräutigam aus den USA Jahre zuvor das Leben gerettet. Mit einer Stammzellspende. Deswegen war es Ben Clark (37) und seiner Zukünftigen eine Herzensangelegenheit, den genetischen Zwilling aus Deutschland bei der Hochzeit dabei zu haben. Beide luden Rolfes unabhängig voneinander ein. Dieser reiste nach Iowa zu dem bis dahin fremden Bräutigam, mit dem er dennoch verbunden ist.
In der Ansprache sagte ein verwandter Pfarrer, dass die Braut Jayme nicht Bens erstes "Perfect Match" gewesen sei. Gemeint war damit aber keineswegs eine Ex-Partnerin, sondern der Stammzellspender. Dann führte Rolfes den 37-Jährigen nach vorne zum Altar. "Das war ein sehr schöner Moment", sagt der 35-Jährige der AZ. Und es war nicht sein einziger Beitrag: "Ich durfte den Ring überreichen, das war meine Aufgabe", erzählt er über die Hochzeit. Am "emotionalsten" allerdings war dies: als Bens Mutter dem Lebensretter ihres Sohnes um den Hals fiel.

Stammzellspender aus Bayern wird Lebensretter: Als Kind kommt er erstmals in Berührung mit Leukämie
Wie kam Rolfes dazu, seine Stammzellen zu spenden? Als Neunjähriger erkrankte ein Freund der Familie im selben Alter an Leukämie. "Er hat es leider nicht geschafft." Daraufhin registrierte sich zunächst Rolfes Mutter bei der DKMS, der Deutschen Knochenmarkspenderdatei. Er selbst war als Bub noch zu jung. Mit 22 Jahren ließ er sich dann auch registrieren, in seiner damaligen Wahlheimat Köln.
Nur zwei Jahre später bekam er die Nachricht: Es gibt einen genetischen Zwilling, der seine Stammzellen braucht. Doch der Mathematiker ist bescheiden, die Spende sieht er weder als große Leistung, noch würde er sich selbst als Lebensretter bezeichnen. Er formuliert es lieber so: "Ich habe dazu beigetragen, ein Leben zu retten." Vielmehr hebt er die Leistung des Arztes hervor, der diesen Eingriff möglich machte.
Die DKMS ist global tätig und hat seit 1991 weltweit mehr als 110.000 Stammzellspenden vermittelt. Mehr als zwölf Millionen potenzielle Spender und Spenderinnen sind bei der gemeinnützigen Organisation registriert – das klingt nach sehr viel. Allerdings ist es sehr diffizil, einen passenden Spender zu finden. Bei nur 30 Prozent passt ein Spender aus der Familie, so die DKMS auf ihrer Internetseite. Je mehr Spender es gibt, desto höher ist die Chance, einen passenden zu finden. Bei Ben Clark und Jan Rolfes ging die Rechnung auf. Auf der Hochzeit wurde ein weiterer Beitrag für künftige Spenden geleistet: Dort konnten sich Gäste registrieren lassen.
Nach zwei Jahren dürfen sich Spender und Empfänger kennenlernen
Die Spende an sich hat Rolfes damals als "harmlos" empfunden, er sei 24 Jahre jung und fit gewesen. Die Medikamente, die man dabei einnimmt, sorgten für "ein bisschen Knochenschmerzen, das kann man sich vorstellen wie Muskelkater, aber eben in den Knochen", schildert er.
Jahre vergingen nach der Spende, in denen Ben sich zurück ins Leben kämpfte. Das Leben von Jan Rolfes lief normal weiter. Bis eine Nachricht der DKMS hereinflatterte, ob er den Empfänger kennenlernen möchte. Ist das üblich? Die DKMS teilt der AZ mit: "Beide Seiten dürfen sich, wenn auch das Herkunftsland des Empfängers dies erlaubt, nach zwei Jahren kennenlernen. Vorausgesetzt, beide Seiten möchten dies." Weiter gilt: "Vor dem ersten Zusammentreffen ist die Einhaltung einer Anonymitätsfrist bindend. Die Kontaktsperre beträgt in den meisten Ländern, unter anderem auch in Deutschland, zwei Jahre."
Rolfes war für den Kontakt offen, suchte ihn aber nicht aktiv, wie er rückblickend erzählt. Ben Clark unternahm schließlich den ersten Schritt. Aber nicht sofort, sondern erst Anfang des Jahres. "Es hat zehn Jahre gedauert, bis er den Kontakt gesucht hat", sagt Rolfes. Beim ersten und einzigen Videoanruf vor der Hochzeit erwartete Rolfes ein Vier-Augen-Gespräch – doch hinter Ben saß seine ganze Familie und 20 Augenpaare schauten den Spender an. Das hat ihn sogleich berührt. "Das wirkte sehr freundlich und willkommen heißend."
Das erste Zusammentreffen beschreibt er als noch ein bisschen ungelenk. Gibt man sich nur die Hand? Oder umarmt man sich sofort? Das war schnell verflogen: Erst ein Händedruck, dann schlossen sie sich in die Arme. Und ins Herz.
Wie man Spender werden kann
DIE REGISTRIERUNG:
- Das Registrierungsset lässt sich online bestellen. Für die Registrierung (möglich zwischen 17 und 55 Jahren) müssen einfache Fragen beantwortet werden unter www.dkms.de
- Mit dem Set führt man einen Abstrich in der Wange durch, das Set wird zurückgeschickt. Der Abstrich gibt laut DKMS Aufschluss darüber, ob die Gewebemerkmale zusammenpassen.
- Ab diesem Zeitpunkt ist man als Spender registriert.
DIE SPENDE:
- Ist man das "Match" für einen Betroffenen, beginnt laut DKMS die Vorbereitung für die Entnahme.
- Bei einer Bestätigungstypisierung wird eine Blutprobe genommen, um ganz sicherzugehen, dass es wirklich der bestmögliche Spender für den jeweiligen Patienten ist.
- Es gibt dann zwei Möglichkeiten der Spende: Die periphere Stammzellspende (Apherese) kommt laut DKMS bei derzeit 90 Prozent der Fälle vor. So war es auch bei Jan Rolfes. Die Stammzellen werden über das Blut gewonnen, dafür wird zuvor über mehrere Tage ein Medikament eingenommen, dieses "sorgt für eine vermehrte Produktion von Stammzellen und deren Ausschwemmung in die Blutbahn". Bei zehn Prozent werden die Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen. "Dazu ist ein kleiner operativer Eingriff unter Vollnarkose notwendig", heißt es von der DKMS.
- Der Patient empfängt die Stammzellen, dies ähnelt einer Bluttransfusion. Es gilt dabei, schnell zu sein: "Die Stammzellen müssen innerhalb von 72 Stunden bei der Patientin oder beim Patienten sein", heißt es auf der Homepage der DKMS.