Nach 50 Jahren kommt der Mittagsmörder frei

Nürnberg - Genau ein Jahr muss Klaus G. (73) noch durchhalten, dann öffnen sich auch für ihn die Gefängnistore – nach einem halben Jahrhundert.
Für den Methusalem unter den Langzeitgefangenen der Republik dürfte der erste Schritt in die Freiheit wie ein gewaltiger Zeitsprung wirken. Darauf muss der zur Entlassung anstehende Mann aus Hersbruck, der als „Mittagsmörder“ in den 60er Jahren zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte, intensiv vorbereitet werden.
Das Trainingsprogramm für das Unternehmen „Freiheit“ ist bereits in vollem Gang.
„Nach so einer langen Zeit kann ein Häftling nicht von einem Tag auf den anderen so einfach freigelassen werden. Das ist unmöglich. Er käme einfach nicht zurecht", analysiert Georg Seidenschwand, der Anwalt des Mittagsmörders, die komplexe Situation. „Als mein Mandant straffällig wurde“, sagt der Anwalt, „war Adenauer Bundeskanzler und die Beatles für viele noch ein Schreckgespenst. Heute haben wir das Smartphone-Zeitalter.“
Im Gefängnis wird Klaus G. von Psychologen und Sozialtherapeuten in Einzel- und Gruppengesprächen auf sein Leben außerhalb der Gefängnismauern eingestimmt. „Sobald auch nur ansatzweise der Eindruck entsteht, dass er noch immer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, ist der Entlassungstermin in einem Jahr hinfällig“, erklärt Seidenschwand, fügt aber gleich noch einen Satz hinzu: „Bis jetzt läuft alles nach Plan und problemlos. Mein Mandant hat bereits die ersten Freigänge unternommen.“
Die Ausflüge, die Klaus G. mit den aktuellen Lebensverhältnissen vertraut machen sollen, finden den Worten des Anwalts zufolge derzeit noch in Begleitung von Wachpersonal statt. „Aber in absehbarer Zeit“, so Seidenschwand, „wird er die Justizvollzugsanstalt für ein paar Stunden auch ohne Begleitung verlassen dürfen. Und irgendwann wird es auch ein ganzes Wochenende sein. Wahrscheinlich verbringt er es in einem geeigneten Heim.“
Nach einem Heim, in dem Klaus G. nach seiner Entlassung dauerhaft leben könnte, wird bereits gesucht. „Ein Wohnheim dürfte wahrscheinlich auch die beste Lösung für ihn sein. Alleine zu leben, würde ihn nach der langen Zeit im Gefängnis einfach überfordern“, beschreibt der Anwalt das Problem. Allerdings hält er es für durchaus überschaubar.
„Mein Mandant“, sagt Seidenschwand, „muss sich aufgrund seines Alters ja nicht mehr einem Arbeitsprozess mit allen dazugehörigen Faktoren unterordnen. Sein Leben wird relativ einfach strukturiert sein, weil er von Hartz IV leben muss, aber das bekommt er in den Griff.“
Die Aussicht, nach der langen Zeit das Gefängnis verlassen zu können, hat die Fantasie des Langzeitgefangenen beflügelt. In einem Brief an die Außenwelt beschreibt Klaus G., wie sehr er sich verändert habe.
Geige zu spielen, im Chor mitzusingen oder Ölbilder zu malen, wie er es jetzt im Gefängnis macht, war für den Mittagsmörder keine Option.
In einem Brief an die Außenwelt schreibt Klaus G., wie er sich im Gefängnis verändert habe, was ihn zum Morden bewegte und was er nach der Haftentlassung mit seinem Leben anfangen will.
Im Prozess vor dem Nürnberger Schwurgericht, das ihn 1967 wegen fünffachen Mordes (bei der Polizei hatte Klaus G. damals zunächst sogar noch zwei weitere Morde gestanden) zu lebenslangem Zuchthaus verurteilte, verkündete er ungerührt, dass Menschen für ihn nicht mehr als Sachen seien.
Damals, beteuert Klaus G. fast 50 Jahre später, sei es sicher so gewesen, aber heute nicht mehr.
Doch selbst unter dieser Voraussetzung wirkt sein Wunsch, als Laienprediger einen Gottesdienst gestalten zu dürfen, etwas befremdlich. Wer sollte ihn schon besuchen? Vielleicht einige Bekannte aus Hersbruck?
In der Siedlung am Ortsrand von Hersbruck, wo Klaus G. und seine Mutter gewohnt haben, werden ein paar Namen genannt, die den Mittagsmörder auch in der JVA besucht haben.
Bestehende soziale Kontakte in seine alte Heimat bestätigt Klaus G. auch selbst. „Es gibt etliche Leute, zu denen ich Kontakt habe und die mich auch schon im Knast besucht haben“, heißt es in seinem Brief.
Das Schreiben ist auch ein Erklärungsversuch für seine fünf Jahre anhaltende Mordserie, mit der er Franken bis 1965 in Angst und Schrecken versetzte.
Seine Mutter sei es gewesen, so Klaus G., die ihm die Perspektiven geraubt und die kriminelle Eskalation ausgelöst habe. Erst habe sie ihm verboten, seinen Traumberuf Revierförster er erlernen und dann auch noch seine Freundschaft zu einem Mädchen torpediert, mit diesen Argumenten geht der Mittagsmörder auf die Gründe seines Abdriftens hin zu einem Serienmörder ein.
Emmeram Daucher, der damalige und inzwischen verstorbene Chef der Mordkommission, hielt Klaus G. für einen Soziopathen. „So etwas wie Mitgefühl“, sagte er im Rückblick, „war ihm fremd.“
In dieser Hinsicht hat der Mittagsmörder nach eigener Einschätzung einen Lernprozess durchlaufen. Natürlich, schreibt er, würde er seine damaligen Taten bereuen und natürlich täten ihm die Opfer und Angehörigen heute leid. Klaus G.: „Ich habe mich vollkommen geändert.“