Nabucco: Aktuell, ganz ohne Aktentaschen

Vor der Verdi-Premiere im Nürnberger Opernhaus: Regisseur Immo Karaman (37) will packen statt analysieren – und verrät, weshalb er Menschen mit einem starken Glauben beneidet
Überinterpretiert“, sagt Immo Karaman, sei „Nabucco“. Und nicht nur die Verdi-Oper, die der 37-Jährige derzeit in Nürnberg inszeniert und die am 29.Mai im Opernhaus Premiere feiert, sondern die meisten Opern. Karaman hingegen mag nicht mehr interpretieren. „Ich will die Geschichte nehmen, wie sie war“, sagt er, „und ich will sie einfach nur packend erzählen. Es steckt ja genug drin.“
Dicke Handlungsstränge
Das stimmt: „Nabucco“ ist die Geschichte der gefangenen Juden in Babylon, des Königs Nebukadnezar (=Nabucco), der zum rechten Glauben findet, des Streits zweier Königstöchter über das Erbe, die Liebesgeschichte zwischen einem jungen Juden und der babylonischen Königstochter, um nur die dicksten Handlungsstränge zu nennen. „Ein Glaubenskrieg, die Liebe, und die Suche nach der richtigen Religion“, sagt Karaman, „Das ist doch Stoff genug, da muss doch nicht extra noch was rein. Und übersetzen will ich’s auch nicht.“
"Die Zuschauer sind ja nicht doof"
Denn das Modernisieren ist Karaman der größte Greuel. „Da rennen dann Schauspieler in Anzügen mit Aktentaschen herum“, wettert er, „die haben ein Handy, bloß damit der Regisseur zeigen kann, dass sein Stück auch heute noch Bedeutung hat. Aber die Zuschauer sind doch nicht doof. Wenn ich einen Glaubenskrieg zwischen Juden und Babyloniern habe, dann muss ich da keine Amerikaner und Taliban draus machen, damit alle kapieren, dass es auch heute noch Glaubenskriege gibt.“
Wo also wurzelt Verdis „Nabucco“? In einem Befreiungsschlag aus einer langen Schaffenskrise, aber auch in seiner Suche nach einem zündenden Theaterstoff. „Das ist stellenweise Sensationstheater“, schwärmt Karaman, „wie heute bei Katastrophenfilmen von Roland Emmerich. Verdi nutzt und sucht Special Effects. Das merkt man auch an der Handlung: Da sind teils Riesenlöcher drin, weil Verdi Effekt manchmal wichtiger war als Stringenz.“ Und so soll’s auch in Nürnberg bleiben, selbst wenn das Ergebnis dabei dem Pathos gefährlich nahe kommen könnte.
Kundenfreundlich aus Liebe zur Kunst
„Nabucco“, sagt Karaman, „ist auch eine Frage nach der Religion. Und wenn man Menschen ernst nimmt, die in tiefster Verzweiflung beten, dann wird das auch nicht pathetisch, dann ist das ein Gefühlsausdruck, der mich berührt. Ich beneide diese Menschen oft, weil ein gefestigter Glauben was Schönes, Beruhigendes sein muss – ich habe ihn selbst leider nicht.“
Eine berührende, packend erzählte Geschichte – diese Herangehensweise klingt vielversprechend, vielleicht sogar kundenfreundlich – als Dienstleistung darf man sie aber nicht bezeichnen. Denn dann wird der Regisseur spürbar grantig. „Wieso Dienstleister“, knurrt er dann, „ich bin Künstler!“
Also gut: Dann ist halt das zufriedene Publikum auch nicht das Ziel, sondern nur der Kollateralschaden – aber da gibt es weiß Gott Schlimmeres. mur
Premiere: 29. Mai, 19.30 Uhr, weitere Aufführungen: 1., 3. 6., 14., 20.Juni, 5., 7., 10.Juli, 12.Oktober, 1.November, Tickets: Tel. 01805/ 231.600