Mutter ersticht ihre Tochter: „Ich wollte mit ihr sterben“

NÜRNBERG - Musste die 15-jährige Lisa sterben,weil ihre verzweifelte Mutter einen Bescheid der Nürnberger ARGE falsch ausgelegt hatte? Die 43-Jährige erstach ihre eigene Tochter (15).
„Jetzt haben die mich gesperrt, jetzt ist alles aus!“ glaubte sie im ersten Moment. Doch Griseldis L. sollte sogar eine Nachzahlung von 1700 Euro sowie mehr Geld pro Monat bekommen. Angst vor Armut und das Fehlen jeglicher Perspektive gab die arbeitslose, geschiedene Griseldis L. (43) gestern vor Gericht als Motiv für den Mord an ihrem einzigen Kind an. „Ich wollte mit ihr aus dem Leben scheiden, aber dann hatte ich keine Kraft mehr,“ schluchzte sie.
Als die Mutter damals an ihren Handgelenken herumritzte, lag Lisa bereits tot auf der Wohnzimmer-Couch der Dreizimmer-Wohnung in der Nürnberger Südstadt. Sie war verblutet nach einem Stich mitten ins Herz. Das Messer steckte noch im Brustkorb. Die Angeklagte litt schon länger unter Depressionen. Sie hatte Angst, dass sie sich und auch ihrer Tochter etwas antun würde, begab sich deshalb freiwillig in die psychiatrische Abteilung des Nürnberger Nordklinikums.
Drei Wochen wurde sie dort mit Artzney behandelt, durfte am 11. August 2007 zum zweiten Mal für ein Wochenende heim. „Ich war so unruhig, meine Tochter war doch erkältet und überfordert mit dem Haushalt“, sagte sie am Dienstag. Immerhin gehörten dazu zwei Hunde, vier Katzen, zwei Meerschweinchen und einige Ratten, die alle versorgt sein wollten.
„Ich will nicht sterben“
Das Geld war ständig knapp, ihren 400 Euro-Job als Pferdepflegerin hatte die Angeklagte auch noch verloren. Sie lebte von Hartz IV. An dem Samstagabend im August 2007 schaute die Angeklagte also daheim nach dem Rechten und öffnete ängstlich einen dicken Brief von der ARGE–Sozialbehörde. Sie war geschockt, was sie da las: „Meine Bezüge sollten gesperrt werden, bis ich neue Unterlagen bringe“, erklärte sie. „Jetzt ist alles aus, machen wir gleich Schluss, habe ich zu meiner Tochter gesagt, bringen wir es hinter uns“ – „Mama, das schaffen wir schon“, habe die 15-Jährige versucht, sie zu trösten. Und schrie: „Ich will nicht sterben“, als die Mutter sie zu würgen versuchte.
Warum nur musste Lisa sterben?
„Du must zurück in die Klinik“, soll Lisa gesagt haben. Die Mutter weigerte sich. Schließlich lagen beide im Wohnzimmer auf der Couch, schliefen beim Fernsehen ein. Am Morgen gegen sechs Uhr erwachte die Angeklagte, holte ein langes Küchenmesser und stach es der Tochter in die Brust. „Warum wollten Sie Lisa mit in den Tod nehmen?“, fragte Richter Peter Wörner. „Sie hatte doch eine Zukunft vor sich.“ Die Schülerin hatte ihren Hauptschul-Quali mit sehr gut bestanden und einen Ausbildungsplatz als Kinderpflegerin. Ihr Vater, der wieder verheiratet war, unterstützte sie.
Da stockte die Angeklagte, brach wieder in Tränen aus und stammelte: „Weil ich sie geliebt habe.“ Da schaute nicht nur Christoph L. (60) erstaunt und ratlos hinüber zu seiner Ex auf der Anklagebank. Er tritt als Nebenkläger auf im Mordprozess. Gestern verweigerte er aber die Aussage. Der Mann hat den gewaltsamen Tod seiner geliebten Tochter noch nicht verkraftet. Der Prozess wird morgen fortgesetzt.
Christa Schamel