Münchens OB Ude übt Bayern

Ude übt Bayern: Beim Ausflug nach Franken gibt sich der SPD-Kandidat erst bescheiden, dann oberlehrerhaft und dann gibt’s doch wieder Ärger mit der Geografie.
Bayern muss Christian Ude erst noch üben. Im Geobuchladen unweit des Münchner Rathauses hat sich der frisch gekürte Seehofer-Herausforderer eine große Landkarte des Freistaats bestellt. Die aber ist noch nicht geliefert, weil Ude sie auf eine Spanplatte aufziehen lässt. Damit er Fähnchen hineinstecken und alle Orte markieren kann, wohin er während seines Wahlkampfes in Bayern fährt. Erst kürzlich hatte er sich schon sauber blamiert und das unterfränkische Aschaffenburg nach Oberfranken versetzt – weil’s ja ganz oben ist in Bayern, an der Grenze zu Hessen. Solche Fehler sollen ihm künftig nicht mehr passieren. In seinem „Rückzugsraum“ hinter seinem OB-Büro im Münchner Rathaus will er die Karte aufhängen. „Dann werde ich mir täglich mehrmals die Topografie Bayerns in Erinnerung rufen“, verspricht er. Sicher hätte er dann auch schon gewusst, dass es von München aus nach Treuchtlingen doch nicht so weit ist wie er denkt. Hier hat Ude am Wochenende seinen ersten großen Auftritt vor der Bayern-SPD auf ihrem kleinen Parteitag.
Als OB hatte er diese Treffen der Genossen gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Genau 144,03 Kilometer sind es auf der schnellsten Strecke von seiner Wohnung am Kaiserplatz in Schwabing zum Rathaus der mittelfränkischen Kleinstadt. Ude hat sich vorbereitet. Schließlich ist Treuchtlingen ein besonders schwerer Brocken in seinem Bayern-Rätsel. Der Ort liegt im „Dreiländer-Eck“, wo Oberbayern, Schwaben und Mittelfranken aneinander grenzen. Nur mit der Entfernung hapert’s noch ein bisschen. So ist Ude eine gute halbe Stunde zu früh. „Groteskerweise“, sagt er. Im Rathaus ist kurz vor 9 Uhr noch keiner da. Dort soll er sich um 9.30 Uhr ins Goldene Buch der Stadt eintragen. So fährt der SPD-Spitzenkandidat erstmal spazieren. Umrundet das Schloss, in dem der Marschall des Dreißigjährigen Krieges, Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim zur Welt kam. Auf ihn hat Friedrich Schiller in „Wallensteins Tod“ den Spruch gemünzt: „Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer.“ Langsam trudelt die örtliche SPD-Prominenz ein. Hier, im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, ist Bayern schon ein roter Fleck.
Sechs der acht hauptamtlichen Bürgermeister sind Sozis. Der Landrat soll demnächst folgen. Treuchtlingens SPD-Bürgermeister Werner Braun empfängt in seinem historischen Rathaussaal. Man kennt sich. Vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt war er in München Chef der 137 S-Bahn Stationen. Nun stehen alle um Ude herum. Lauter SPD-Männer. Nur Generalsekretärin Natascha Kohnen drängt sich als einzige Frau dazwischen. Der Star-Gast blättert im Goldenen Buch. Vor ihm hat der evangelische Landesbischof unterschrieben. Edmund Stoiber hat sich darin verewigt, Günther Beckstein gleich mehrmals, Markus Söder und Ex-Löwenpräsident Karl-Heinz Wildmoser. Der hat sogar ein Foto von sich reingeklebt. Die Frau des Bürgermeisters reicht im hellblauen Seiden-Dirndl halbierte Brezn und aufgeteilte Hefeschnecken.
Dabei geht’s doch bei dem kleinen Parteitag der SPD in Treuchtlingen um die Gleichstellung von Mann und Frau. Eine Mindestquote von 40 Prozent fordert die Partei in Vorständen und Aufsichtsräten. Auch Ude kennt seine Pappenheimer. Um 10 Uhr warten 98 SPD-Delegierte in der Stadthalle von Treuchtlingen auf ihren neuen Messias. „Ich trete hier nicht als politischer Oberlehrer auf, sondern als lernbereiter Nachhilfeschüler“, gibt er sich demütig. Dabei verpasst er ihnen gleich eine richtige Lektion. „Einen Schnellkurs in Realität“, sagt er. Der sieht so aus: „Ich rate davon ab, allen Menschen ein sozialdemokratisches Problembewusstsein zu unterstellen.“ Vor allem bei der umstrittenen Herdprämie, mit der die CSU das alte Rollenbild zementieren will. Die SPD ist dagegen, Ude eigentlich auch, aber er rät zur Vorsicht: „Zwei Drittel der Eltern schicken ihr Kind nicht in eine Krippe", klärt Ude seine Genossen auf.
Dass diese Eltern, die ihre Erziehungsarbeit selber leisten, gerne eine „materielle Gabe“ hinnehmen, sei wohl logisch. „Wir verlangen der Mehrheit also einen Verzicht ab“, schulmeistert Ude die Delegierten. Sein Rat: „Wir müssen argumentieren und dürfen die Eltern nicht kränken, als ob wir ihre Erziehungsarbeit nicht zu würdigen wüssten.“ Ein rätselhaftes Argument gibt er ihnen mit auf den Weg: „Es gibt ja auch keine Opernprämie für Leute, die nicht in die Oper gehen.“ Frauenversteher Ude weiß, nur mit Hilfe der Frauen kann er die CSU nach mehr als einem halben Jahrhundert in die Opposition schicken. Sie haben bei der letzten Landtagswahl der Regierungspartei den Rücken gekehrt und sie in eine Koalition gezwungen. So macht er sein geplantes 15-minütiges „Grußwort“ zu einer fast einstündigen Regierungserklärung: „Frauenförderung ist keine gönnerhafte Aufgabe, sondern eine unternehmerische Chance.“
Auf einer Linie mit seinen Genossen ist Realo Ude da nicht immer. „Jedes Versprechen muss genau durchdacht sein, weil wir es auch erfüllen müssen“, mahnt er. Draußen vor der Tür wird er deutlicher: „Die Delegierten müssen ihre Spiegelstriche jetzt sehr ernst nehmen, weil es um eine künftige Regierungspartei geht und nicht um Selbststimulierung in der Opposition." Nächstes Wochenende fährt Ude nach Niederbayern, nach Rahstorf. Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler, hat den Stadtmenschen eingeladen auf seinen Bauernhof. Eine Dreierkoalition will der SPD-Spitzenkandidat mit den Freien Wählern und den Grünen schließen. Doch es gibt noch eine Hürde: die dritte Startbahn. Bei der fühlt sich Ude seit dem Wochenende wieder im Aufwind. „Mit der dritten Startbahn in Frankfurt haben die Grünen den Weltuntergang beschworen und jetzt ist die vierte Startbahn eröffnet worden", erzählt er triumphierend. „Und das mit einer schwarz-grünen Koalition, die in Frankfurt regiert.“
Viel mehr interessiert die Umstehenden aber, ob er schon mal auf einem Bauernhof war. „Natüüürlich“, plustert sich Ude auf. „Als Kind hab’ ich Ferien auf dem Bauernhof in Kötzting gemacht.“ Prompt folgt die Abfrage: „In welchem bayerischen Regierungsbezirk liegt das?“ „In Niederbayern“, gebärt sich Ude wie ein Einserschüler. Bis jemand neben ihm vor Verzweiflung fast zusammensackt und flüstert: „Nein, das ist doch in der Oberpfalz.“ „Wir haben halt immer gesagt, wir fahren in den Bayerischen Wald“, zuckt Ude mit den Schultern. Erst Marianne Schieder, die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete, klärt auf: „Bis 1972 war Kötzting Niederbayern. Erst mit der Gebietsreform kam es zur Oberpfalz.“ Aber in zwei Wochen soll ja seine Bayern-Karte geliefert werden.