Mordanschlag von Passau: Von den Tätern fehlt jede Spur

Das Entsetzen in Passau über den Mordanschlag auf den Polizeichef Alois Mannichl ist groß. Hunderte Menschen gehen gegen rechte Gewalt auf die Straße. Die Polizei muss derweil zwei Verdächtige aus der Nazi-Szene wieder laufen lassen.
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Der Anschlag auf Alois Mannichl sorgt in ganz Deutschland für Entsetzen.
dpa Der Anschlag auf Alois Mannichl sorgt in ganz Deutschland für Entsetzen.

PASSAU - Das Entsetzen in Passau über den Mordanschlag auf den Polizeichef Alois Mannichl ist groß. Hunderte Menschen gehen gegen rechte Gewalt auf die Straße. Die Polizei muss derweil zwei Verdächtige aus der Nazi-Szene wieder laufen lassen.

Das Entsetzen über die heimtückische Attacke auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl ist groß. Rund 300 Bürger marschierten aus Protest gegen rechte Gewalt gestern Mittag durch die City der Dreiflüssestadt.

„Wir stehen hinter Herrn Mannichl, der sich couragiert gegen Rechtsextremismus eingesetzt hat“, rief Torben Hennings, der Organisator der Demo. Auch Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper schloss sich dem Protest an. „Dieses Verbrechen erinnert mich an die finstersten RAF-Zeiten“, betonte er.

Mannichl wurde am Samstagabend vor seinem Haus niedergestochen. Der Täter beschimpfte ihn als „linkes Bullenschwein“ und flüchtete mit einem Komplizen. Mannichl ist mittlerweile außer Lebensgefahr. Seine Ärzte hoffen, dass er zu Weihnachten wieder nach Hause kann.

Die Hoffnung auf auf einen schnellen Fahndungserfolg hat sich indes zerschlagen. Zwei Verdächtige, die in der Nacht zum Montag festgenommen wurden, mussten die Ermittler inzwischen wieder laufen lassen. Die 26 und 27 Jahre alten Männer gehören in Passau der rechten Szene an. „Ein DNA-Abgleich mit Spuren vom Tatort hat beide entlastet“, erklärte Oberstaatsanwalt Helmut Walch. Zudem konnten die Verdächtigen ein Alibi vorweisen. Die Ermittler haben keine konkrete Spur. Es werde in alle Richtungen ermittelt, hauptsächlich im rechten Spektrum, so Walch.

Die Tatwaffe stammt aus dem Haushalt des Polizeichefs. Mannichl soll das Messer kürzlich bei einer Adventsfeier zum Lebkuchenschneiden benutzt und später im Garten liegen gelassen haben.

„Sollten die Attentäter aus der rechtsextremistischen Szene stammen, haben wir es mit einer neuen Form von Gewalt zu tun, die ein härteres Vorgehen gegen Neonazis erfordert“, bekräftigt Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Innenminister Joachim Herrmann forderte härtere Strafen für Neonazis.

Ministerpräsident Horst Seehofer, der am Abend den verletzten Polizeichef im Passauer Klinikum besuchte, kündigte an, er wolle ein erneutes NPD-Verbot prüfen. Der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, lehnte das ab. Es sei schwer zu erreichen und würde eine solche Tat nicht verhindern.

Biedermänner und Brandstifter

Der Mordanschlag von Passau hat gezeigt: Rechte Gewalt ist ein riesiges Problem in Bayern. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.

Wie stark sind die Rechten in Bayern?

Laut dem Halbjahresbericht 2008 des Landesamtes für Verfassungsschutz gibt es rund 1100 gewaltbereite Rechtsextremisten. Die Skinheadszene wird auf rund 700 Mitglieder geschätzt.

Wie gefährlich sind sie?

Im ersten Halbjahr 2008 wurden laut Verfassungsschutz 26 Gewaltdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund registriert (2007 waren es im selben Zeitraum 50 Gewalttaten). 18 Tatverdächtige werden von der Polizei zur Skinheadszene gerechnet.

Wer sind die Drahtzieher?

Die NPD hat die Nachfolge von DVU und „Republikanern“ (REP) angetreten. Die Partei unter ihrem Bundesvorsitzenden Udo Voigt geht beim Aufbau rechter Organisationsstrukturen systematisch vor. Parteifunktionäre versuchen vor Ort, Organisationen und Stützpunkte aufzubauen. 36 Kreisverbände sind über ganz Bayern verteilt.

Welche Methoden wenden die Neonazis an?

Nach außen geben sich die NPD-Verantwortlichen betont gemäßigt. Gleichzeitig sind die Funktionäre oft aber auch polizeibekannt. Über allgemeine Themen wie Umweltschutz, Familien- und Wirtschaftspolitik versuchen sie Zugang zu breiteren Bevölkerungschichten zu bekommen. Unterschwellig werden aber auch ausländerfeindliche und antisemitische Parolen verbreitet. So versuchen sie neue Mitglieder zu rekrutieren. Vor allem auf Jugendliche haben es rechte Rattenfänger abgesehen. Die Szene veranstaltet Konzerte und verteilt CDs mit rechter Rock-Musik an Schulen.

Gibt es ein großes braunes Netzwerk?

Nein. Die NPD versucht zwar laut Verfassungsschutz, die diversen Gruppierungen unter ihrem Dach zu vereinen – darunter auch offen gewaltbereite. Das Ziel, ein rechtes Netzwerk zu gründen, erreicht die Szene allerdings trotz mehrerer Anläufe nicht. Die Gruppierungen sind nach Beobachtungen von Staatsschützern untereinander zersplittert und sogar teilweise verfeindet.

Wie sieht die Szene in München aus?

In der Landeshauptstadt leben nach Polizeiangaben rund 550 Anhänger der rechten Szene. 60 gelten als gewaltbereit. Zwei rechte Gruppierungen sind in der Stadt aktiv. Die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) gilt als Tarnorganisation der NPD. Sie erreichte bei der Kommunalwahl im letzten März 1,2 Prozent. BIA-Mann Karl Richter zeigte bei der Vereidigung im Stadtrat einen verkappten Hitlergruß und wurde daraufhin vom Amtsgericht München im August zu einer Geldstrafe von 5600 Euro verurteilt. Die Initiative „Pro München“ wurde ebenfalls von Personen aus dem Umfeld von NPD, REP und DVU gegründet. Die NPD hat sich aus der Organisation inzwischen verabschiedet und die „BIA“ gegründet. Bei der Stadtratswahl erreichte „Pro München“ 0,9 Prozent der Stimmen.

Und in Nürnberg?

In Nürnberg erreichte die „BIA“ bei der Kommunalwahl 3,3 Prozent. Außer dem NPD-Landesvorsitzenden Ralf Ollert sitzt NPD-Mann Sebastian Schmaus im Stadtrat.

Welche politischen Ambitionen haben die Rechten?

Das wichtigste Ziel, den Einzug in den Landtag, hat die NPD klar verfehlt. Im September schaffte die Partei landesweit 1,2 Prozent der Stimmen.

Hubert Denk, Ralph Hub

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