Mit Tränen zum Gelächter

Chaplin bleibt der Größte: Begeisterung bei den Erlanger StummFilmMusikTagen.
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Der Geist des genialen Charlie Chaplin schwebte über dem Parkett des Erlanger Markgrafentheaters.
Berny Meyer Der Geist des genialen Charlie Chaplin schwebte über dem Parkett des Erlanger Markgrafentheaters.

NÜRNBERG - Chaplin bleibt der Größte: Begeisterung bei den Erlanger StummFilmMusikTagen.

Als das dänische Komiker-Paar Pat und Patachon bei den Erlanger StummFilmMusikTagen im Markgrafentheater die Leinwand frei gab für Charlie Chaplin, war vieles gleich und alles anders. Ausverkauftes Haus und tosendes Gelächter für Filme, die beide aus dem Produktionsjahr 1928 stammten und nun 80 Jahre später ihre Tonspur live nachgereicht bekamen. Aber was beim cool Grimassen schneidenden Duo als angemessenes Ohrkitzeln (Miller the Killer con Conny Corretto) gefiel, wurde bei „Circus“ in der großen Orchester-Besetzung des ensemble KONTRASTE zur überwältigenden Hommage an ein Genie, zur staunenden Neuentdeckung des bestens Bekannten. Da wurde Autor Thomas Lang, der den „ewigen Tramp“ als undurchschaubares Phänomen klassifiziert und schroff gegen „Gefühlspanscherei“ abgegrenzt hatte, schnell vergessen. Worte waren dem Groß-Komödianten noch nie gewachsen. Bei der Musik sieht es anders aus. Was dieses Festival nachgeladener Kostbarkeiten Jahr um Jahr bemerkenswerter macht.

„Circus“ ist eine Mehrstufen-Rakete, war nach „Goldrausch“ Chaplins zweiter Groß-Film der Stummfilm-Epoche und steckt voll von jener umwerfenden Komik, hinter der sich stets das herzergreifende Gefühl meldet. 40 Jahre nach der Premiere hatte der Alles-Könner den laufenden Bildern auch noch das Klingen beigebracht. Die traumhaft sicher an der Arena-Stimmung entlangsurfende Komposition (in Erlangen wurde Charlies raukehliger Titel-Song original eingespielt), wächst mit Live-Orchester in Kraftwerk-Dimension. Unter der Leitung von Christian Schumann sprüht und blitzt es aus dem Orchestergraben, wo das Nürnberger Ensemble ein gewachsenes Stil-Empfinden geradezu triumphal ausspielen kann. Im Inspirations-Wirbel der Musik tanzen die Bilder mit ihrer unverwüstlichen Slapstick-Poesie von einem Höhepunkt zum nächsten. Alles schon mal gesehen und dennoch alles wie neu. Denn artifizieller, so bis in die kleinste Geste durchdacht, war Kino-Komik bis heute niemals. Von daher wird es höchste Zeit, die nächste Renaissance für Chaplins Gesamtwerk einzuläuten.

Im Markgrafentheater bejubelte ein aufgewühltes Publikum das, was vorher als „Trank aus Tränen und Gelächter“ angekündigt wurde, und juchzte noch draußen auf der Straße mit glänzenden Augen über dieses Erlebnis.

Zu später Stunde griff das Festival zum Melodram, das dazumal als schwermütige Markt-Konkurrenz zur „Circus“-Produktion galt und weltweit Kassen füllte. „Varieté“ mit Emil Jannings ist ein Juwel mit ermattenden Stellen, durch Regisseur E.A. Dupont zwar mit cineastischen Vorahnungen reich bestückt, aber von jener umflorten Nahaufnahmen-Tragik, bei der großäugige Dämonie ständig über dicke Lidschatten springt. Fürs Festival hatte der inoffizielle Moviesound-Weltmeister Aljoscha Zimmermann, von dem 200 Nachvertonungen stammen, dem Film Klang gegeben und mit Tochter Sabrina uraufgeführt. Durchkomponiert und zu sehr auf Augenhöhe mit den Bildern bedacht, wirksam wie ein akustischer Geschmacksverstärker. Interessant, aber 2009 keine Konkurrenz für Charlie.

Für 2010 plant das Festival für vier Tage. „Schwere Jungen, leichte Mädchen“ ist der Arbeitstitel. Wer weiß, vielleicht wird gar Eddie Constantine noch stumm. Dieter Stoll

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